Der Untergang des Abendlandes
»Freiheit der Demokratie«. Die Zeit des »Buches« wird durch die gotische Predigt und die moderne Zeitung eingefaßt. Bücher sind ein persönlicher
Ausdruck
, Predigt und Zeitung gehorchen einem unpersönlichen
Zweck
. Die Jahre der Scholastik bieten in der Weltgeschichte das einzige Beispiel einer geistigen Zucht, die über alle Länder hin keine Schrift, keine Rede, keinen Gedanken hervortreten ließ, die der
gewollten
Einheit widersprachen. Das ist geistige Dynamik. Antike, indische, chinesische Menschen würden entsetzt auf dies Schauspiel geblickt haben. Aber gerade das kehrt als
notwendiges
Ergebnis des europäisch-amerikanischen Liberalismus wieder, so wie es Robespierre meinte: »Der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei«. An Stelle der Scheiterhaufen tritt das große Schweigen.
Die Diktatur der Parteihäupter stützt sich auf die Diktatur der Presse. Man sucht durch das Geld Leserscharen und ganze Völker der feindlichen Hörigkeit zu entreißen und unter die eigne Gedankenzucht zu bringen. Hier erfahren sie nur noch, was sie wissen
sollen
, und ein höherer Wille gestaltet das Bild ihrer Welt. Man braucht nicht mehr, wie die Fürsten des Barock, die Untertanen zum Waffendienst zu verpflichten. Man peitscht ihre Geister auf, durch Artikel, Telegramme, Bilder – Northcliffe! – bis sie Waffen
fordern
und ihre Führer zu einem Kampfe zwingen, zu dem diese gezwungen sein
wollten
.
Das ist das Ende der Demokratie. Wenn in der Welt der Wahrheiten der
Beweis
alles entscheidet, so in der Tatsachenwelt der
Erfolg.
Erfolg, das bedeutet den Triumph eines Daseinsstromes über die andern. Das Leben
hat
sich durchgesetzt; die Träume der Weltverbesserer sind Werkzeuge von
Herren
naturen geworden. In der späten Demokratie bricht die
Rasse
hervor und knechtet die Ideale oder wirft sie mit Gelächter in den Abgrund. So war es im ägyptischen Theben, in Rom, in China, aber in keiner zweiten Zivilisation erhielt der Wille zur Macht eine so unerbittliche Form. Das Denken und dadurch das Handeln der Masse wird unter eisernem Druck gehalten. Deshalb und nur deshalb ist man Leser und Wähler, also in zweifacher Sklaverei, während die Parteien zu gehorsamen Gefolgschaften von Wenigen werden, über welche der Cäsarismus schon seine ersten Schatten wirft. Wie das englische Königtum im 19. Jahrhundert, so werden die Parlamente im 20. langsam ein feierliches und leeres Schauspiel. Wie dort Szepter und Krone, so werden hier die Volksrechte mit großem Zeremoniell vor der Menge einhergetragen und um so peinlicher geachtet, je weniger sie bedeuten. Das ist der Grund, weshalb der
kluge
Augustus keine Gelegenheit versäumt hat, die altgeheiligten Bräuche römischer Freiheit zu betonen. Aber die Macht verlagert sich heute schon aus den Parlamenten in private Kreise, und ebenso sinken die Wahlen unaufhaltsam zu einer Komödie herab, für uns wie für Rom. Das Geld organisiert den Vorgang im Interesse derer, die es besitzen, [Hier liegt das Geheimnis, weshalb alle radikalen, also
armen
Parteien notwendig die Werkzeuge der Geldmächte, in Rom der equites, heute der Börse werden. Theoretisch greifen sie das Kapital an, praktisch aber nicht die Börse, sondern in deren Interesse die Tradition. Das war zur Zeit der Gracchen ebenso wie heute, und zwar in allen Ländern. Die Hälfte der Massenführer ist durch Geld, Ämter, Beteiligung an Geschäften zu erkaufen und mit ihnen die ganze Partei.] und die Wahlhandlung wird ein verabredetes Spiel, das als Selbstbestimmung des Volkes inszeniert ist. Und wenn eine Wahl ursprünglich eine
Revolution in legitimen Formen war
, [Vgl. Bd. II, S. 1079 f.] so hat sich diese Form erschöpft und man »wählt« sein Schicksal wieder mit den ursprünglichen Mitteln blutiger Gewalt, wenn die Politik des Geldes unerträglich wird.
Durch das Geld vernichtet die Demokratie sich selbst, nachdem das Geld den Geist vernichtet hat. Aber eben
weil
alle Träume verflogen sind, daß die Wirklichkeit sich jemals durch die Gedanken irgendeines Zenon oder Marx verbessern ließe, und man gelernt hat, daß im Reiche der Wirklichkeit ein Machtwille
nur durch einen andern
gestürzt werden kann – das ist die große Erfahrung im Zeitalter der kämpfenden Staaten –, erwacht endlich eine tiefe Sehnsucht nach allem, was noch von alten, edlen Traditionen lebt. Man ist der Geldwirtschaft müde bis zum Ekel. Man hofft auf eine Erlösung irgendwoher, auf einen echten Ton von Ehre und Ritterlichkeit, von innerem
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