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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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geschichtsbildenden Willen Einzelner und ganzer Scharen, der in den wirtschaftlichen Tatsachen Mittel und nicht Zwecke sieht. Sie hält das Wirtschaftsleben für etwas, das man ohne Rest aus sichtbaren Ursachen und Wirkungen erklären kann, das ganz mechanisch angelegt und völlig in sich abgeschlossen ist, und das endlich zu den ebenfalls für sich gedachten Kreisen der Politik und Religion in einem irgendwie kausalen Verhältnis steht. Weil diese Betrachtungsweise systematisch und nicht geschichtlich ist, so glaubt sie an die zeitlose Gültigkeit ihrer Begriffe und Regeln und hat den Ehrgeiz, die allein richtige Methode »der« Wirtschaftsführung aufstellen zu wollen. Deshalb hat sie überall, wo ihre Wahrheiten mit den Tatsachen zusammentrafen, ein vollkommenes Fiasko erlebt, wie es mit den Voraussagen für den Ausbruch des Weltkriegs durch bürgerliche [Die gelehrte Auffassung war allgemein, daß die wirtschaftlichen Folgen der Mobilmachung den Abbruch des Krieges in einigen Wochen erzwingen würden.] und mit der Einrichtung der Sowjetwirtschaft durch proletarische Theoretiker der Fall war.
    Es gibt also noch keine Nationalökonomie, insofern man darunter eine Morphologie der Wirtschaftsseite des Lebens versteht und zwar des Lebens der hohen Kulturen mit ihrer nach Stufe, Tempo und Dauer gleichartigen Ausbildung eines wirtschaftlichen
Stils
. Denn die Wirtschaft besitzt kein System sondern eine Physiognomie. Um das Geheimnis ihrer inneren Form, ihrer
Seele
zu ergründen, bedarf es des physiognomischen Taktes. Um in ihr Erfolg zu haben, muß man Kenner sein, so wie man Menschenkenner und Pferdekenner ist, und braucht kein »Wissen«, so wenig der Reiter etwas von der Zoologie zu »wissen« braucht. Aber diese Kennerschaft kann geweckt werden und zwar durch einen mitfühlenden Blick auf die Geschichte, der eine Ahnung von den geheimen Rassetrieben gibt, die auch in wirtschaftlich tätigen Wesen am Werke sind, um die äußere Lage – den ökonomischen »Stoff«, die
Not
– nach dem eignen Innern sinnbildlich zu gestalten.
Jedes Wirtschaftsleben ist Ausdruck eines Seelenlebens.
    Das ist eine neue, eine deutsche Wirtschaftsauffassung, jenseits von Kapitalismus
und
Sozialismus, die beide aus der nüchtern bürgerlichen Verständigkeit des 18. Jahrhunderts hervorgegangen sind und die nichts sein wollten als eine stoffliche Analyse – und daraufhin eine Konstruktion – der wirtschaftlichen Oberfläche. Was bis jetzt gelehrt worden ist, bereitet nur vor. Das Wirtschaftsdenken steht wie das Rechtsdenken noch vor seiner eigentlichen Entfaltung, [Vgl. Bd. II, S. 652.] die heute wie in hellenistisch-römischer Zeit erst dort einsetzt, wo Kunst und Philosophie unwiderruflich Vergangenheit geworden sind.
    Der folgende Versuch will nichts sein als ein flüchtiger Blick auf die hier vorhandenen Möglichkeiten.
    Wirtschaft und Politik sind Seiten des
einen
lebendig dahinströmenden Daseins, nicht des Wachseins, des Geistes. [Vgl. Bd. II, S. 557, 971.] In beiden offenbart sich der Takt kosmischer Flutungen, die in Geschlechterfolgen von Einzelwesen eingefangen sind. Sie
haben
nicht etwa, sondern sie
sind
Geschichte. Die nichtumkehrbare Zeit, das Wann regiert in ihnen. Sie gehören beide zur Rasse und nicht zur Sprache mit ihren raumhaft-kausalen Spannungen wie Religion und Wissenschaft; sie richten sich beide auf Tatsachen und nicht auf Wahrheiten. Es gibt politische und wirtschaftliche
Schicksale
, so wie es in allen religiösen und wissenschaftlichen Lehren einen zeitlosen
Zusammenhang von Ursache und Wirkung
gibt.
    Das Leben besitzt also eine politische
und
eine wirtschaftliche Art, für die Geschichte »in Form« zu sein. Sie überlagern, stützen oder bekämpfen sich, aber die politische ist unbedingt die erste. Das Leben will sich erhalten
und
durchsetzen oder vielmehr, es will sich stärker machen,
um
sich durchzusetzen. In wirtschaftlicher Verfassung befinden sich die Daseinsströme nur für sich selbst, in politischer für ihr Verhältnis zu den andern. Daran ändert sich nichts von den einfachsten einzelligen Pflanzen bis zu den Schwärmen und Völkern der höchsten frei im Räume beweglichen Wesen. Sich ernähren und sich bekämpfen: den Rangunterschied beider Lebensseiten läßt ihr Verhältnis zum Tode erkennen. Es gibt keinen tieferen Gegensatz als den von
Hungertod
und
Heldentod
. Wirtschaftlich wird das Leben bedroht, entwürdigt,
erniedrigt
durch den Hunger im weitesten Sinne; auch die Unmöglichkeit, seine

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