Der Untergang
schlug beide Hände vor das Gesicht.
Die unsichtbare Kralle, die nach Abu Duns Seele gegriffen und sich ihrer schon fast bemächtigt hatte,
erstarrte, und dann ertönte in seinem Kopf ein zweiter, noch viel lauterer zorniger Schrei, das Brüllen der
Bestie, die sich um ihr Opfer betrogen sah und sich in ihrer Wut gegen ihn wandte.
Aber es war zu spät. Andrej stürzte hilflos nach hinten, krümmte sich am Boden und schlug immer wieder
mit beiden geballten Fäusten auf sein Gesicht und seine Stirn ein, wie um das Ding, das sich darin
eingenistet hatte, auf diese Weise aus sich heraus zu prügeln, raffte das letzte bisschen Kraft, das er in sich
fand, zusammen und drängte die Gier zurück.
Es gelang ihm. Abu Dun erzählte ihm später irgendwann einmal, dass es nur wenige Augenblicke gedauert
hatte, aber für Andrej verging eine Ewigkeit, in der er durch die Hölle ging. Es war ein Ringen, das mit
Worten nicht zu beschreiben war, der schlimmste und härteste Kampf seines Lebens; und vermutlich der
letzte dieser Art, den er gewinnen konnte. Noch einmal, vielleicht zum allerletzten Mal, gelang es ihm, die
Bestie zu bezwingen, den Vampyr Schritt für Schritt zurückzudrängen und schließlich wieder in sein
Gefängnis, in den tiefsten Kerkern seiner Seele, einzusperren.
Als es vorbei war, verlor er das Bewusstsein.
Allerdings nicht für lange. Anders als sonst, wenn er aus einer Ohnmacht erwachte, hatte er eine genaue
Erinnerung an die verstrichene Zeit, wenn auch nur an die Zeit, nicht an das, was währenddessen
geschehen war. Er lag nicht mehr auf der Seite, sondern auf dem Rücken, unter seinen Schultern und dem
Kopf eine widerlich weiche Decke aus Fell und leblosen Körpern, und Abu Dun hockte ein kleines Stück
neben ihm auf den Knien und sah auf ihn herab. Sein Gesicht war blutüberströmt und von zahllosen
winzigen Rissen und Bisswunden übersät, aber die Angst, die Andrej in seinen Augen las, hatte nichts mit
diesen Verletzungen zu tun oder der Todesfurcht, die er gerade ausgestanden hatte. Als Andrej die Augen
öffnete, fuhr Abu Dun fast unmerklich zusammen und bewegte sich beinahe noch unmerklicher ein
winziges Stück zurück.
Seine Hand schloss sich um den Schwertgriff, und seine ganze Haltung versteifte sich.
»Andrej?«, fragte er.
Andrej war zu schwach um zu antworten. Er deutete nur ein Nicken mit den Augen an.
»Bist du … ich meine …?«
»Ich bin wieder … ich selbst«, murmelte Andrej.
Die Erleichterung in Abu Duns Augen war nicht echt. Sie war da, aber das Misstrauen dahinter blieb und
schien eher noch zuzunehmen. »Bei Allah! Was ist passiert?«, murmelte Abu Dun verstört.
Andrej schüttelte nur den Kopf. Er hatte nicht die Kraft, Abu Dun zu erklären, was geschehen war, und
hätte er sie gehabt, hätte er es vermutlich nicht gewollt. Er wollte nicht darüber reden, nicht einmal daran
denken, denn er war plötzlich von der absurden Vorstellung erfüllt, dass schon die Tatsache allem, über
das Ding in sich zu sprechen, ausreichte, um es wieder erwachen zu lassen.
»Und du bist sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist?«, fragte Abu Dun.
»Ja«, flüsterte Andrej; in einer Tonlage, die das Wort zu einer Farce werden ließ. »Ich brauche nur …
einen Moment Ruhe.
Ich muss zu Kräften kommen.«
Abu Dun riss die Augen auf. »Zu Kräften?« Fassungslos sah er sich um. Er sagte nichts, aber Andrej
wusste nur zu gut, was er gesagt hätte.
»Frag’ nicht«, flüsterte er. »Es gibt Dinge, die sollte man besser nicht anrühren, weißt du?«
Abu Dun nickte ernst. Er schwieg noch eine ganze Weile, in der er ihn nachdenklich anblickte, und auf
eine Art, die Andrej erschaudern ließ.
»Also gut«, sagte er schließlich. Er fuhr sich mit dem Unterarm über das Gesicht, betrachtete anschließend
seinen Ärmel und runzelte die Stirn, als verstünde er nicht genau, was das Blut auf dem schwarzen Stoff
seines Mantels zu bedeuten hatte. Dann machte sich ein grimmiger Ausdruck auf seinen Zügen breit. Er
drehte den Kopf nach links und sah zur Tür.
»Ruh’ dich noch einen Moment aus. Ich habe noch eine Verabredung. Draußen.«
»Nein!«, murmelte Andrej erschrocken. Er wollte sich aufrichten, den Arm ausstrecken, um Abu Dun
zurückzuhalten, aber die Kraft reichte nicht. Mit einem wimmernden Laut sank er wieder zurück. Nie
zuvor hatte er sich nach einer Erneuerung so hilflos, ausgebrannt und schwach gefühltwie jetzt. Die
Lebenskraft, die er den Ratten gestohlen hatte, hatte ihn nicht gestärkt, sondern
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