Der Untergang
Er lauschte
keiner freundschaftlichen Unterhaltung.
Andrej blinzelte, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht - es war blutüberströmt wie das Abu Duns, aber
es war nur das Blut der Ratten, die er erschlagen hatte, nicht mehr sein eigenes -, und als er die Augen
wieder öffnete, fügten sich die flackernden Schemen langsam zu Bildern zusammen.
Er hatte sich nicht getäuscht. Es waren nicht die unheimlichen Kinder, die er gehört hatte, sondern drei
Männer zu Pferde, die sich der Mühle aus der gleichen Richtung genähert hatten wie Abu Dun und er.
Zwei von ihnen waren abgestiegen, während der Dritte hoch oben im Sattel saß und sowohl Abu Dun als
auch ihn misstrauisch beäugte. Andrej kannte weder ihn noch den zweiten Mann, mit dem der Nubier
sprach, den dritten dafür kannte er umso besser. Es war Handmann.
Im gleichen Moment, in dem Andrej den Müller erkannte, erkannte Handmann ihn. Er unterbrach sein
Gespräch mit Abu Dun, fuhr zornig herum und machte einige Schritte in Andrejs Richtung, blieb aber
dann ebenso abrupt wieder stehen, als Abu Dun den Arm ausstreckte.
»Da ist ja einer von diesen verdammten Hexenmeistern!«, sagte er. Seine Augen flammten vor Hass. »Seid
Ihr zurückgekommen, um Euch davon zu überzeugen, dass Eure Zauberei zum Erfolg geführt hat?«
Andrej konnte sehen, dass Abu Dun zu einer wütenden Antwort ansetzte, aber der Mann auf dem Pferd
kam ihm zuvor.
»Gib Acht, was du sagst, Handmann«, sagte er, in einem Tonfall, der Andrej sofort klar machte, dass
dieser kein Freund des Müllers war. Wenn er allerdings den Blick, mit dem der Reiter ihn und Abu Dun
maß, richtig deutete, war der Fremde aber ihr Freund auch nicht. »Voreilige Anschuldigungen haben
schon großes Unheil angerichtet.«
Andrej atmete tief und langsam ein, bevor er weiterging. Seine Kräfte kehrten jetzt rasch zurück;
zumindest seine körperlichen Kräfte, dennoch ging er langsamer, als notwendig gewesen wäre.
Seine Knie schlotterten noch immer, und er hatte die rechte Hand hauptsächlich deshalb auf dem
Schwertgriff liegen, damit niemand sah, wie stark sie zitterte. Die Genugtuung, wortwörtlich vor
Handmann auf die Knie zu fallen, wollte er diesem Fanatiker ganz bestimmt nicht verschaffen.
»Was sucht Ihr hier?«, fragte Handmann zornig, als Andrej bei ihm angelangt war.
»Wenn wir einen verrückten Verleumder suchen würden, hätten wir ihn jetzt gefunden«, sagte Abu Dun
lächelnd. Handmann funkelte ihn an, aber er sagte nichts, was möglicherweise daran liegen mochte, dass
Abu Dun gerade einen Schritt vor ihm stand und ihn um gut zwei Köpfe überragte; und dass sein ohnehin
nicht besonders Vertrauen erweckendes Gesicht im Moment eine Maske aus Verletzungen, Schorf und
Blut - vor allem Blut - war.
Bevor Handmann antworten konnte, sagte der Reiter: »Du sprichst unsere Sprache gut, Muselmann.
Verstehst du sie auch ebenso gut? Wenn ja, dann solltest du die Frage besser beantworten.«
»Wir wollten nachsehen, was hier geschehen ist«, sagte Andrej rasch.
»Nachsehen?«
Andrej machte eine Kopfbewegung zur Mühle, dann in die Richtung, aus der die Reiter gekommen waren.
»Pater Flock ist heute Morgen in unser Lager gekommen. Er hat uns erzählt, was hier angeblich
vorgefallen ist. Wir wollten uns mit eigenen Augen davon überzeugen.«
»Wovon?«, fragte Handmann aufgebracht. »Dass Eure Hexerei gewirkt hat? Wie Ihr seht, ist Euer Plan
nicht ganz aufgegangen.
Eure Ratten haben vielleicht all mein Korn aufgefressen, aber ich und meine Familie sind noch immer am
Leben.«
Andrej maß ihn nur mit einem fast mitleidigen, zugleich aber auch verächtlichen Blick und wandte sich
dann wieder an den Reiter. Er wusste nicht, wer der Mann war, aber er strahlte eine so spürbare Aura von
Autorität und Ruhe aus, dass es sich mit Sicherheit um einen der Amtsträger der Stadt handelte. »Euer
Pfarrer ist ein sehr vernünftiger Mann«, sagte er. »Er hat uns erzählt, was Handmann gesagt hat.« Er
deutete in Richtung Mühle. »Offenbar scheint es wirklich die Wahrheit zu sein. Aber ich kann Euch
versichern, dass weder Elena noch ich noch einer der anderen etwas damit zu tun haben.«
»Handmann behauptet, das Zigeunerweib hätte ihm gedroht, dass er und seine Familie von Ratten
aufgefressen würden, wenn er Euch keine Ware verkauft.«
»Ganz so war es nicht«, erwiderte Andrej und gab dann wahrheitsgemäß und wörtlich den kurzen Disput
zwischen Elena und Handmann wieder. »Ein Wort ergab das andere«, schloss er seinen Bericht.
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