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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sah. »Was -?«
Er sprang auf, rannte ein paar Schritte in die Richtung zurück, aus der Andrej gekommen war, und blieb
mit einem unterdrückten Keuchen stehen, als er den Waldrand erreichte und das Lager sehen konnte.
Selbst aus dieser geringen Entfernung betrachtet, wirkte es friedlich und ruhig.
Nirgends regte sich ein Zeichen von Leben. Irgendwo jaulte ein Hund, und zwei oder drei der Pferde
schnaubten unruhig, aber das war alles. »Was hast du getan?«, fragte Abu Dun erschüttert.
»Was ich tun musste«, antwortete Andrej. Er ging in die Hocke, raffte eine Handvoll Moos zusammen und
begann, die Schwertklinge damit zu säubern. Seine Bewegungen waren gleichmäßig und ruhig, mehr
Ritual als lästige Pflicht.
Andrej hatte es tausendmal getan in den vergangenen Jahren, und dennoch war er heute so wenig bei der
Sache, dass er sich zweimal an dem Rasiermesser scharfen Stahl schnitt. Er merkte es nicht einmal.
Irgendwann trat Abu Dun hinter ihn, aber Andrej fuhr fort, das Damaszenerschwert zu polieren, obwohl
die Klinge längst wie Silber schimmerte.
»Aber warum?«, murmelte Abu Dun. »Seit wir zusammen sind, warst du auf der Suche nach ihnen.«
»Vielleicht hab ich mich geirrt«, sagte Andrej.
»Aber sie hätten dir alles sagen können. Die Antworten auf alle Fragen, die du dir je gestellt hast.«
»Vielleicht bin ich ja zu dem Schluss gekommen, dass ich sie gar nicht hören will.«
»Du weißt, dass du ab jetzt ein Ausgestoßener bist?«, fragte Abu Dun. »Was du getan hast, wird sich
herumsprechen.
Auch unter deinesgleichen.«
»Du irrst dich schon wieder, Sklavenhändler«, sagte Andrej. »Es muss heißen: Unter unseresgleichen.« Er
stand auf, schob das Schwert in die Scheide zurück und drehte sich mit einem Ruck zu Abu Dun herum.
»Vielleicht hätte ich dir die Zunge abschneiden sollen, statt nur deine Brust zu durchbohren«, sagte er.
»Manchmal dauert es lange, bis abgetrennte Körperteile nachwachsen. Und manchmal tun sie es gar
nicht.«
Der Nubier setzte zu einer Antwort an, doch in diesem Moment raschelte es hinter ihnen im Unterholz,
und Andrej hörte Schritte. Mit einer Schnelligkeit, die nicht einmal er Abu Dun zugetraut hätte, wirbelte
der schwarzgesichtige Riese herum und war einen Atemzug später im Gebüsch verschwunden.
Und wie es aussah, keinen Augenblick zu früh, denn die Schritte kamen näher, und noch bevor die Äste
des Busches, durch den Abu Dun außer Sicht gekrochen war, zu zittern aufgehört hatten, erschien ein
grauhaariger Mann mit schmutziger Kleidung und einem hastig angelegten, blutigen Verband über der
linken Schulter vor Andrej.
»Schulz«, murmelte Andrej überrascht. »Was tut Ihr denn hier?« Ohne eine Antwort abzuwarten, lief er
an dem Mann vorbei und starrte argwöhnisch in die Richtung, aus der der Grauhaarige gekommen war.
»Keine Sorge«, sagte Schulz. »Ich bin allein.«
»Was tut Ihr hier?«, fragte Andrej noch einmal.
»Vielleicht sollte ich mich bei Euch bedanken, Andreas«, sagte Schulz. »Immerhin habt Ihr mir das Leben
gerettet.«
»Bildet Euch nichts darauf ein«, antwortete Andrej. »Das war mehr ein Zufall.«
»Das mag sein«, sagte Schulz. Er sah sich aufmerksam um.
Sein Blick blieb einen Moment lang auf Abu Duns schwarzem Hengst haften, ehe er sich wieder an Andrej
wandte. »Ihr habt Euren Freund beerdigt, Andreas?«
»Draußen im Wald, ja«, antwortete Andrej. »Das wäre sein Wunsch gewesen. Er hat den Gedanken
immer gehasst, auf einem Friedhof zu liegen, inmitten so vieler Toter. Und wenn Ihr glaubt, Ihr wäret mir
etwas schuldig, so könnt Ihr Eure Schuld auch gleich zurückzahlen: Versucht nicht, seine letzte Ruhestätte
zu finden oder ihn gar auszugraben.«
»Natürlich nicht«, sagte Schulz. »Das ist das Mindeste, was ich für Euch tun kann.« Er schwieg einen
Moment. Dann trat er wieder an Andrejs Seite und blickte in die gleiche Richtung wie er zuvor; aber nur
für einen Moment, bevor er sich herumdrehte und das Lager aus Zelten und Wohnwagen betrachtete. »Ich
war gerade dort«, sagte er. »Ich habe Euch gesehen.«
»So?«, fragte Andrej. »Und was werdet Ihr jetzt tun?«
»Das hängt vielleicht ganz von Euren Antworten ab«, erwiderte Schulz. »Warum habt Ihr es getan?«
Andrej hob die Schultern. »Jemand musste es tun.« Schulz nickte, als wären das genau die Worte, die er
erwartet hatte.
»Dann werdet Ihr gehen müssen«, sagte er. »Flock und ich haben dem Inquisitor alles erklärt. Ich meine:
Wir haben ihm alles erzählt, was er hören

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