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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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das Töten auch dort oben seinen Fortgang
nahm.
Alles in allem verging nicht einmal eine Minute, bis es in der gesamten Mühle kein Leben mehr gab.
Andrej ließ sein Schwert fallen, brach in die Knie, und begann mit einem gequälten Stöhnen zur Seite zu
kippen. Er wäre mit dem Gesicht voran in der Masse der toten Ratten gelandet, hätte Abu Dun sich nicht
hastig herumgedreht und ihn aufgefangen. Der Nubier sagte irgend etwas. Seine Stimme zitterte und war
voller Panik, aber Andrej verstand ihn nicht. Alles drehte sich um ihn. In seinen Ohren war ein dumpfes,
an- und abschwellendes Dröhnen, nichts anderes als das Geräusch seines eigenen, rasenden Herzschlages,
und er spürte noch immer das Nagen dieser grässlichen, roten Gier.
Einen Hunger, der durch all das Blut und all das unreine Leben, das er gerade in sich aufgenommen hatte,
nicht gestillt, sondern nur noch weiter angefacht worden zu sein schien. Etwas griff nach seinen Gedanken
und begann sie zu verwirren. Plötzlich war es ihm unmöglich, den Worten, die Abu Dun von sich gab,
irgendeinen Sinn abzugewinnen, wirklich zu begreifen, wer es war, der da hinter ihm stand und ihn
festhielt und zugleich mit immer schriller werdender Stimme auf ihn einschrie und ihn an den Schultern
rüttelte. Er hatte nicht nur das Leben der Ratten genommen, nicht nur ihre Lebenskraft der seinen hinzu
gefügt, sondern auch etwas von dem, was das Wesen dieser Geschöpfe ausmachte. Plötzlich war sein
Bewusstsein erfüllt von dunklen Instinkten, der Gier nach warmem Fleisch und salzigem Blut, nach
Fortpflanzung und einem dunklen Ort, an dem er sich verbergen konnte, nach sinnloser Zerstörung und
rasender Gewalt.
Mehr. Die Bestie in ihm hatte getrunken, aber ihr Durst war nicht gestillt. Sie verlangte nach mehr,
unendlich viel mehr.
Aber da war nichts. In einem einzigen Akt der Raserei hatte er jedes Leben in dieser Mühle ausgelöscht,
eine brodelnde weiße Sonne, die die ruhig flackernde Kerze seiner eigenen Lebenskraft um ein
Hundertfaches überstrahlte und zu verzehren drohte, aber die Gier war nicht gelöscht. Er brauchte mehr.
Mehr Lebenskraft. Mehr Blut. Aber da war nichts mehr. Das einzige Leben, das es noch in dieser Mühle
gab, war sein eigenes.
Und das Abu Duns.
Mit einem Ruck richtete er sich auf, fuhr in der gleichen Bewegung herum und schlug Abu Duns Arm zur
Seite. Er sah, wie sich das Gesicht des Nubiers vor Überraschung und Schrecken verzerrte, aber auch das
war nur ein Bild, ein Anblick ohne Bedeutung. Beute.
»Andrej! Was tust du?«
Auch Abu Duns Worte ergaben keinen Sinn mehr. Geräusche, Laute, die etwas Lebendes von sich gaben.
Leben bedeutete Beute. Fressen bedeutete Überleben.
Andrej stöhnte hörbar. Irgendwo tief in ihm, unendlich schwach und hilflos, war noch ein winziger Rest
seiner Menschlichkeit geblieben, ein Funke, der gegen den lodernden Weltenbrand der fremden
Lebenskraft anzukämpfen versuchte, und dieser Funke klammerte sich verzweifelt fest, kämpfte mit
übermenschlicher Gewalt und Willenskraft darum, der Gier nicht nachzugeben, dieses warme, pulsierende
Leben da vor ihm nicht zu nehmen. Aber er war zu schwach. Der Vampyr triumphierte, erlebte den
Moment, auf den er all die Jahre unendlich geduldig gewartet und hingearbeitet hatte. Erfüllt von einem
unendlichen Entsetzen und einem Grauen, das die Grenze körperlichen Schmerzes erreichte und
überschritt, spürte Andrej, wie das Ding in ihm abermals hinausgriff und mit eisigen Spinnenfingern nach
Abu Duns Seele tastete, einer Mahlzeit, die so unendlich viel köstlicher und zufriedenstellender war als die
Ratten zuvor. Abu Duns Augen weiteten sich. Er öffnete den Mund, wie um zu schreien, aber kein Laut
kam über seine Lippen. Er stand wie erstarrt da, dann füllten sich seine Augen mit einer unvorstellbaren
Angst - und mit einem Gefühl der Verwirrung und Enttäuschung, das vielleicht noch größer war.
Und das ihm vielleicht das Leben rettete. So wie Andrej. Er wäre der Bestie nicht mehr Herr geworden.
Wenn er jemals stärker als sein uraltes Erbe gewesen war, dann hatte er diesen Vorteil aufgegeben, als er
zuließ, dass sich das Ding in ihm an einer Beute weidete, die ebenso düster und grausam war wie er selbst.
Es war nicht mehr sein Wille, nicht mehr sein Gewissen, nicht mehr sein logisches, menschliches Denken,
das ihm die Kraft gab, den Vampyr zu besiegen. Es war das, was er in Abu Duns Augen las. Andrej schrie
wie unter unerträglicher körperlicher Pein auf, warf sich zurück und

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