Der Untertan
sind nicht zeitgemäß. Mit« — er blies durch die Nase —, »mit Geist ist heute nichts zu machen. Die nationale Tat —«, ein Faustschlag auf den Tisch, »hat die Zukunft!«
Buck darauf mit verzeihendem Lächeln: »Die Zukunft? Das ist eben die Verwechselung. Die nationale Tat hat abgehaust, im Lauf von hundert Jahren. Was wir erleben und noch erleben sollen, sind ihre Zuckungen und ihr Leichengeruch. Es wird keine gute Luft sein.«
»Von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet, als daß Sie das Heiligste in den Schmutz ziehen!«
»Heilig! Unantastbar! Sagen wir gleich: ewig! Nicht wahr? Außerhalb der Ideale eures Nationalismus wird nie, nie wieder gelebt werden. Früher, mag sein, in der dunkeln Periode der Geschichte, die euch noch nicht kannte. Jetzt aber seid ihr da, und die Welt ist angelangt. Dünkel und Haß der Nationen, das ist das Ziel, darüber hinaus geht es nicht.«
»Wir leben in einer harten Zeit«, bestätigte Diederich ernst.
»Weniger hart als verkalkt... Ich bin nicht überzeugt, daß die Menschen, deren Dasein in den Dreißigjährigen Krieg fiel, an die Unabänderlichkeit ihres auch nicht weichen Zustandes geglaubt haben. Und ich bin überzeugt, daß die Rokokowillkür von denen, die ihr unterlagen, für überwindbar gehalten worden ist, sonst hätten sie nicht die Revolution gemacht. Wo ist, in den Räumen der Geschichte, die wir seelisch noch betreten können, die Zeit, die sich in Permanenz erklärt und aufgetrumpft hätte vor der Ewigkeit mit ihrer traurigen Beschränktheit. Die jeden nicht ganz in ihr Befangenen abergläubisch bemäkelt hätte. Nicht nationalgesinnt sein erregt bei euch noch mehr Grauen als Haß! Aber die vaterlandslosen Gesellen sind euch auf den Fersen. Dort im Saal, sehen Sie sie?«
Diederich verschüttete seinen Sekt, so schnell fuhr er herum. War denn Napoleon Fischer eingedrungen, mit den Genossen?... Buck lachte stumm und innig. »Bemühen Sie sich nicht, ich meine nur das stille Volk auf den Wänden. Warum scheinen sie so heiter? Was gibt ihnen das Recht auf Blumenwege, leichten Schritt und Harmonie? Ah! Ihr Freunde!« Über die Tanzenden hinweg schwenkte Buck sein Glas. »Ihr Freunde der Menschheit und jeder guten Zukunft, weitherzig und unbekannt mit der düstern Selbstsucht eines nationalen Vetternbundes: Weltseelen ihr, kehrt wieder! Selbst unter uns noch erwarten euch einige!«
Er trank aus, Diederich bemerkte mit Verachtung, daß er weinte. Übrigens bekam er sogleich eine schlaue Miene. »Ihr aber, Zeitgenossen, wißt wohl nicht, was der alte Bürgermeister, der da hinten zwischen den Amtspersonen und Schäferinnen rosig lächelt, als Schleife über der Brust trägt? Die Farben sind verblichen; ihr denkt wohl, es sind die euren? Es ist aber die französische Trikolore. Sie war neu damals und nicht die eines Landes, sondern der allgemeinen Morgenröte. Sie zu tragen war beste Gesinnung; es war, wie ihr sagen würdet, streng korrekt. Prost!«
Aber Diederich war verstohlen mit seinem Stuhl davongerückt und spähte umher, ob niemand höre. »Sie sind ja besoffen«, murmelte er; und um die Situation zu retten, rief er: »Herr Rose! Noch eine Flasche!« Darauf setzte er sich achtunggebietend zurecht. »Sie scheinen nicht daran zu denken, daß seitdem ein Bismarck da war!«
»Nicht nur einer«, sagte Buck. »Von allen Seiten ist Europa in diesen nationalen Durchgang getrieben worden. Nehmen wir an, er war nicht zu vermeiden. Nach ihm werden bessere Gefilde kommen... Aber seid ihr eurem Bismarck etwa gefolgt, solange er im Recht war? Ihr habt euch zerren lassen, ihr habt mit ihm im Konflikt gelebt. Erst jetzt, da ihr über ihn hinaus sein solltet, hängt ihr euch an seinen kraftlosen Schatten! Denn euer nationaler Stoffwechsel ist entmutigend langsam. Bis ihr begriffen habt, daß ein großer Mann da ist, hat er schon aufgehört, groß zu sein.«
»Sie werden ihn kennenlernen!« verhieß Diederich. »Blut und Eisen bleibt die wirksamste Kur! Macht geht vor Recht!« Der Kopf schwoll ihm rot an bei diesen Glaubenssätzen. Aber auch Buck regte sich auf.
»Die Macht! Die Macht läßt sich nicht ewig auf Bajonetten davontragen wie eine aufgespießte Wurst. Die einzige reale Macht ist heute der Friede! Spielt euch die Komödie der Gewalt vor! Prahlt gegen eingebildete Feinde draußen und im Innern! Taten, glücklicherweise, sind euch nicht erlaubt!«
»Nicht erlaubt?« Diederich blies, als sollte Feuer kommen. »Seine Majestät hat gesagt: Lieber lassen wir
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