Der Untertan
unsere gesamten achtzehn Armeekorps und zweiundvierzig Millionen Einwohner auf der Strecke...«
»Denn wo der deutsche Aar —!« rief Buck, mit jähem Schwung; und noch wilder: »Nicht Parlamentsbeschlüsse! Die einzige Säule ist das Heer!«
Diederich gab ihm nichts nach. »Ihr seid berufen, mich in erster Linie vor dem äußeren und inneren Feind zu schützen!«
»Einer hochverräterischen Schar zu wehren!« schrie Buck. »Eine Rotte von Menschen —«
Diederich fiel ein: »— nicht wert, den Namen Deutsche zu tragen!«
Und beide einstimmig: »Verwandte und Brüder niederschießen!«
Tänzer, die sich am Büffet erfrischten, wurden aufmerksam auf ihr Geschrei, sie holten auch ihre Damen herbei, um ihnen den Anblick eines heldenhaften Rausches zu verschaffen. Sogar die Kartenspieler streckten die Köpfe herein; und alle bestaunten Diederich und seinen Partner, die, auf ihren Stühlen schwankend und an den Tisch geklammert, mit glasigen Augen und entblößten Gebissen einander starke Worte ins Gesicht schleuderten.
»Einen Feind, und der ist mein Feind!«
»Einer nur ist Herr im Reich, keinen andern dulde ich!«
»Ich kann sehr unangenehm sein!«
Die Stimmen überschlugen sich.
»Falsche Humanität!«
»Vaterlandslose Feinde der göttlichen Weltordnung!«
»Müssen ausgerottet werden bis auf den letzten Stumpf!«
Eine Flasche flog gegen die Wand.
»Zerschmettere ich!«
»Deutschen Staub!... Pantoffeln!... Herrliche Tage!« Hier glitt durch die Zuschauer ein Wesen mit verbundenen Augen: Guste Daimchen, die sich auf diese Weise einen Herrn suchen sollte. Von rückwärts betastete sie Diederich und wollte ihn zum Aufstehen bewegen. Er machte sich steif und wiederholte drohend: »Herrliche Tage!« Sie riß das Tuch herunter, starrte ihn angstvoll an und holte seine Schwestern. Auch Buck sah ein, daß es angezeigt sei, aufzubrechen. Unauffällig stützte er den Freund beim Abgang, konnte aber nicht verhindern, daß Diederich in der Tür sich nochmals umwandte, der tanzenden, gaffenden Menge zu, gebieterisch aufgereckt, wenn auch verglast und ohne Blitzen.
»Zerschmettere ich!«
Dann ward er hinunter und in den Wagen befördert.
Als er gegen Mittag mit schweren Kopfschmerzen das Familienzimmer betrat, war er sehr erstaunt, daß Emmi es entrüstet verließ. Aber Magda brauchte ihm nur einige vorsichtige Andeutungen zu machen, da wußte er schon wieder, um was es sich handelte. »Hab ich das wirklich gemacht? Na ja, ich gebe zu, es waren Damen dabei. Es gibt verschiedene Arten, sich als deutscher Mann zu zeigen: bei den Damen ist es wieder eine andere... Natürlich beeilt man sich in solchem Fall, die Sache in der loyalsten und korrektesten Weise beizulegen.«
Obwohl er kaum aus den Augen sehen konnte, war ihm klar, was zu geschehen hatte. Indes ein zweispänniger Paradewagen herbeigeholt ward, bekleidete er sich mit Gehrock, weißer Krawatte und Zylinder; dann überreichte er dem Kutscher die von Magda aufgesetzte Liste und fuhr los. Überall verlangte er nach den Damen; manche schreckte er vom Mittagessen auf — und ohne deutlich zu erkennen, ob er Frau Harnisch, Frau Daimchen oder Frau Tietz vor sich habe, sagte er mit rauher Katerstimme her: »Ich gebe zu... Als deutscher Mann, bei Damen... Loyalste und korrekteste Weise...«
Um halb zwei war er zurück und ließ sich aufseufzend zum Essen nieder. »Die Sache ist beigelegt.«
Der Nachmittag gehörte einer schwierigeren Aufgabe. Diederich ließ Napoleon Fischer hinauf in seine Privatwohnung kommen.
»Herr Fischer«, sagte er und wies ihm einen Stuhl an, »ich empfange Sie hier und nicht in meinem Büro, weil den Herrn Sötbier unsere Angelegenheiten nichts angehen. Es betrifft nämlich die Politik.«
Napoleon Fischer nickte, als habe er sich dies schon gedacht. Er schien an solche vertraulichen Unterredungen nunmehr gewöhnt, auf Diederichs ersten Wink griff er sogleich in die Zigarrenkiste; er schlug sogar das Bein über. Diederich war weit weniger sicher; er schnaufte — und dann entschloß er sich ohne Umschweife, mit brutaler Ehrlichkeit auf sein Ziel loszugehen. Bismarck hatte es auch so gemacht.
»Ich will nämlich Stadtverordneter werden«, erklärte er, »und dazu brauche ich Sie.«
Der Maschinenmeister warf ihm einen Blick von unten zu. »Ich Sie auch«, sagte er. »Denn ich will auch Stadtverordneter werden.«
»Nanu, na hören Sie mal! Ich war auf manches gefaßt...«
»Sie hatten wohl schon wieder ein paar Doppelkronen in der
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