Der Untertan
Dann aber trat der Wulckowsche Hund ein, schritt riesenhaft und voll Verachtung an Diederich vorbei und kratzte an der Tür. Sofort ertönte es drinnen: »Schnaps! Komm herein!« — worauf die Dogge die Tür aufklinkte. Da sie vergaß, sie wieder zu schließen, erlaubte Diederich sich, mit hineinzuschlüpfen. Herr von Wulckow saß in einer Rauchwolke am Schreibtisch, er wendete den ungeheuren Rücken her.
»Guten Tag, Herr Präsident«, sagte Diederich, mit einem Kratzfuß. »Nanu, quatschst du auch schon, Schnaps?« fragte Wulckow, ohne sich umzusehen. Er faltete ein Papier, zündete langsam eine neue Zigarre an... ›Jetzt kommt es‹, dachte Diederich. Aber dann begann Wulckow etwas anderes zu schreiben. Interesse an Diederich nahm nur der Hund. Offenbar fand er den Gast hier noch weniger am Platz, seine Verachtung ging in Feindseligkeit über; mit gefletschten Zähnen beschnupperte er Diederichs Hose, fast war es kein Schnuppern mehr. Diederich tanzte, so geräuschlos wie möglich, von einem Fuß auf den ändern, und die Dogge knurrte drohend, aber leise, wohl wissend, ihr Herr könne es sonst nicht weiterkommen lassen. Endlich gelang es Diederich, zwischen sich und seinen Feind einen Stuhl zu bringen, an den geklammert er sich umherdrehte, bald langsamer, bald schneller, und immer auf der Hut vor Schnaps' Seitensprüngen. Einmal sah er Wulckow den Kopf ein wenig wenden und glaubte ihn schmunzeln zu sehen. Dann hatte der Hund genug von dem Spiel, er ging zum Herrn und ließ sich streicheln; und neben Wulckows Stuhl hingelagert, maß er mit kühnen Jägerblicken Diederich, der sich den Schweiß wischte.
›Gemeines Vieh!‹ dachte Diederich — und plötzlich wallte es auf in ihm. Empörung und der dicke Qualm verschlugen ihm den Atem, er dachte, mit unterdrücktem Keuchen: ›Wer bin ich, daß ich mir das muß bieten lassen? Mein letzter Maschinenschmierer läßt sich das von mir nicht bieten. Ich bin Doktor. Ich bin Stadtverordneter! Dieser ungebildete Flegel hat mich nötiger als ich ihn!‹ Alles, was er heute nachmittag erlebt hatte, nahm den übelsten Sinn an. Man hatte ihn verhöhnt, der Bengel von Leutnant hatte ihm den Rücken geklopft! Diese Kommißknöpfe und adeligen Puten hatten die ganze Zeit von ihren albernen Angelegenheiten geredet und ihn wie dumm dabeisitzen lassen! ›Und wer bezahlt die frechen Hungerleider? Wir!‹ Gesinnung und Gefühle, alles stürzte in Diederichs Brust auf einmal zusammen, und aus den Trümmern schlug wild die Lohe des Hasses. ›Menschenskinder! Säbelraßler! Hochnäsiges Pack!... Wenn wir mal Schluß machen mit der ganzen Bande —!‹ Die Fäuste ballten sich ihm von selbst, in einem Anfall stummer Raserei sah er alles niedergeworfen, zerstoben: die Herren des Staates, Heer, Beamtentum, alle Machtverbände und sie selbst, die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat!... Von der Wand dort, hinter blauen Wolken, sah eisern hernieder ihr bleiches Gesicht, eisern, gesträubt, blitzend: Diederich aber, in wüster Selbstvergessenheit, hob die Faust.
Da knurrte der Wulckowsche Hund, unter dem Präsidenten hervor aber kam ein donnerndes Geräusch, ein lang hinrollendes Geknatter — und Diederich erschrak tief. Er verstand nicht, was dies für ein Anfall gewesen war. Das Gebäude der Ordnung, wieder aufgerichtet in seiner Brust, zitterte nur noch leise. Der Herr Regierungspräsident hatte wichtige Staatsgeschäfte. Man wartete eben, bis er einen bemerkte; dann bekundete man gute Gesinnung und sorgte für gute Geschäfte...
»Na, Doktorchen?« sagte Herr von Wulckow und drehte seinen Sessel herum. »Was ist mit Ihnen los? Sie werden ja der reine Staatsmann. Setzen Sie sich mal auf diesen Ehrenplatz.«
»Ich darf mir schmeicheln«, stammelte Diederich. »Einiges habe ich schon erreicht für die nationale Sache.«
Wulckow blies ihm einen mächtigen Rauchkegel ins Gesicht, dann kam er ihm ganz nahe mit seinen warmblütigen, zynischen Augen und ihrer Mongolenfalte. »Sie haben erstens erreicht, Doktorchen, daß Sie Stadtverordneter geworden sind. Wie, das wollen wir auf sich beruhen lassen. Jedenfalls konnten Sie es brauchen, denn Ihr Geschäft soll ja 'ne ziemlich faule Karre sein.« Da Diederich zusammenzuckte, lachte Wulckow dröhnend.
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