Der Untertan
Einladung zum Tee bei Frau von Wulckow, und Diederich begleitete sie. Erhobenen Hauptes schritten die Geschwister über die Kaiser-Wilhelm-Straße. Diederich lüftete kühl den Zylinder vor den Herren, die von den Stufen der Freimaurerloge erstaunt zusahen, wie er das Gebäude der Regierung betrat. Den Wachtposten begrüßte er mit einer jovialen Handbewegung. Droben in der Garderobe stieß man auf Offiziere und ihre Damen, denen die beiden Fräulein Heßling schon bekannt waren. Die Sporen zusammenschlagend, zog der Leutnant von Brietzen Emmi den Mantel aus, und sie dankte ihm über die Schulter, wie eine Gräfin. Sodann trat sie Diederich auf den Fuß, damit er merke, auf welchen heißen Boden er versetzt sei. Und wirklich, als man nun Herrn von Brietzen den Vortritt in den Salon aufgenötigt, vor der Präsidentin entzückte Kratzfüße ausgeführt hatte und mit allen bekannt geworden war: welche Aufgabe, so ehrenvoll wie gefährlich, auf einem Stühlchen zwischen Damenkleider eingeengt, die Teetasse im Gleichgewicht zu erhalten, während man Kuchenteller weitergab, und mit den Kuchen ein huldigendes Lächeln zu spenden und beim Essen ein schmelzendes Wort über die so gelungene Aufführung der »Heimlichen Gräfin« zu liefern, ein männlich anerkennendes für die großzügige Verwaltungstätigkeit des Präsidenten, ein gewichtiges über Umsturz und Kaisertreue — und dabei noch den Wulckowschen Hund zu füttern, der bettelte! An die anspruchslose Gesellschaft des Ratskellers oder des Kriegervereins durfte man hier nicht denken; es hieß mit aufreibendem Lächeln in die wasserhellen Augen des Hauptmanns von Köckeritz starren, dessen Glatze weiß, dessen Gesicht von der Mitte der Stirn abwärts feuerrot war und der vom Exerzierplatz erzählte. Und wenn einem vor Gespanntheit auf die Frage, ob man gedient habe, schon der Schweiß ausbrach, erlebte man es unversehens, daß die Dame neben einem, die ihr weißblondes Haar glatt über den Kopf hinauf kämmte und eine sonnenverbrannte Nase hatte, von Pferden zu sprechen anfing... Diesmal ward Diederich durch Emmi gerettet, denn Emmi, unterstützt von Herrn von Brietzen, mit dem sie geradezu auf vertrautem Fuß zu stehen schien, griff gewandt in das Pferdegespräch ein, gebrauchte fachmännische Ausdrücke, ja, schreckte nicht davor zurück, von Ritten ins Gelände zu phantasieren, die sie auf dem Gut einer Tante unternommen haben wollte. Als der Leutnant sich dann erbot, mit ihr auszureiten, schützte sie die arme Frau Heßling vor, die es nicht erlaube. Diederich erkannte Emmi nicht wieder. Ihre unheimlichen Talente ließen Magda, der es doch gelungen war, sich zu verloben, hier ganz im Schatten. Nicht ohne Bangen ward Diederich, wie nach seiner Rückkehr aus dem Grünen Engel, sich der unberechenbaren Wege bewußt, die ein Mädchen, wenn man es nicht sah — Da bemerkte er, daß er eine Frage der Präsidentin überhört hatte und daß man schwieg, weil er antworten sollte. Er suchte in der Luft nach Hilfe, stieß aber nur auf den unerbittlichen Blick eines großen Bildnisses, bleich und steinern, in roter Husarenuniform, eine Hand auf der Hüfte, der Schnurrbart an den Augenwinkeln und der Blick über die Schulter hinweg kalt blitzend! Diederich erbebte, er verschluckte sich mit Tee, Herr von Brietzen klopfte ihm den Rücken.
Eine Dame, die bisher nur immer gegessen hatte, sollte jetzt singen. Im Musikzimmer hatte man sich gruppiert. Diederich, an der Tür, zog verstohlen die Uhr, da hüstelte hinter ihm die Präsidentin. »Ich weiß wohl, lieber Doktor, daß Sie nicht uns und unserer leichten, ich möchte sagen allzu leichten Konversation Ihre Zeit opfern, die so ernsten Pflichten gehört. Mein Mann erwartet Sie, kommen Sie nur.« Den Finger an den Lippen, ging sie voran, über einen Gang, durch ein leeres Vorzimmer... Ganz leise klopfte sie. Da keine Antwort kam, sah sie ängstlich auf Diederich, dem auch nicht wohl war. »Ottochen«, versuchte sie, zärtlich an die verschlossene Tür geschmiegt. Nach einer Weile des Lauschens erhob sich drinnen die fürchterliche Baßstimme: »Hier ist kein Ottochen! Sag den Schafsköpfen, sie sollen ihren Tee allein saufen!« — »Er ist so sehr beschäftigt«, flüsterte Frau von Wulckow, ein wenig bleicher. »Die Schlechtgesinnten untergraben seine Gesundheit... Leider muß ich mich jetzt meinen Gästen widmen, der Diener soll Sie anmelden.« Und sie entschwebte.
Diederich wartete vergeblich auf den Diener, lange Minuten.
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