Der Untertan
seine zwischen Gustes Stuhl und ihrem Rücken hinabgleiten, umspannte sie unten und murmelte betört: »Wie ich das zum erstenmal gesehen habe, gleich hab ich gesagt, die oder keine!«
Aber da wurden sie aus dem Zauberbann gerissen durch einen Zwischenfall, der bestimmt schien, die Kunstfreunde Netzigs noch lange zu beschäftigen. Lohengrin zeigte sein Jägerhemd! Eben stimmte er an: »Atmest du nicht mit mir die süßen Düfte«, da kam es hinten aus dem Wams hervor, das aufging. Bis Elsa ihn, sichtlich erregt, zugeknöpft hatte, herrschte im Hause lebhafte Unruhe; dann erlag es wieder dem Zauberbann. Guste freilich, die sich mit einem Praliné verschluckt hatte, stieß auf ein Bedenken. »Wie lange trägt er das Hemd schon? Und überhaupt, er hat doch nichts mit, der Schwan ist mit seinem Gepäck abgeschwommen!« Diederich verwies ihr ernstlich das Nachdenken. »Du bist geradeso eine Gans wie Elsa«, stellte er fest. Denn Elsa war im Begriff, sich alles zu verderben, weil sie es nicht lassen konnte, ihren Mann nach seinen politischen Geheimnissen zu fragen. Der Umsturz ward vollends zerschmettert, denn Telramunds feiges Attentat mißlang durch Gottes Fügung; aber die Weiber, dies mußte Diederich sich sagen, wirkten, wenn man ihnen nicht die Kandare fest anzog, eher noch subversiver. Nach der Verwandlung ward dies vollends klar. Eiche, Banner, alles nationale Zubehör war wieder da; und »für deutsches Land das deutsche Schwert, so sei des Reiches Kraft bewährt«: bravo! Aber Lohengrin schien nun wirklich entschlossen, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. »Überall wurde an mir gezweifelt«, durfte auch er sagen. Nacheinander klagte er den toten Telramund und die ohnmächtige Elsa an. Da keiner von beiden ihm widersprach, würde er ohne weiteres recht behalten haben; dazu kam aber noch, daß er tatsächlich in der Rangliste obenan stand. Denn jetzt gab er sich zu erkennen. Die Nennung seines Namens rief bei der ganzen Versammlung, die noch nie von ihm gehört hatte, eine ungeheure Bewegung hervor. Die Mannen konnten sich gar nicht beruhigen; alles andere schienen sie erwartet zu haben, nur nicht, daß er Lohengrin hieß. Um so dringlicher ersuchten sie den geliebten Herrscher, von dem folgenschweren Schritt der Abdankung diesmal noch abzusehen. Aber Lohengrin blieb heiser und unnahbar. Übrigens wartete schon der Schwan. Eine letzte Frechheit Ortruds brach ihr zur allgemeinen Genugtuung den Hals. Leider deckte gleich darauf auch Elsa das Schlachtfeld, das Lohengrin, statt des entzauberten Schwans von einer kräftigen Taube gezogen, hinter sich ließ. Dafür war der junge, soeben eingetroffene Gottfried in drei Tagen der dritte Landesfürst, dem Edle und Mannen, treu und bieder wie immer, ihre Huldigung darbrachten.
»Das kommt davon«, bemerkte Diederich, indes er Guste in den Mantel half. Alle diese Katastrophen, die Wesensäußerungen der Macht waren, hatten ihn erhoben und tief befriedigt. »Wovon kommt es denn«, meinte Guste, zum Widersprechen aufgelegt. »Bloß weil sie wissen will, wer er ist? Das kann sie wohl verlangen, das ist nicht mehr wie anständig.« — »Es hat einen höheren Sinn«, erklärte ihr Diederich streng. »Die Geschichte mit dem Gral, das soll heißen, der Allerhöchste Herr ist nächst Gott nur seinem Gewissen verantwortlich. Na, und wir wieder ihm. Wenn das Interesse Seiner Majestät in Betracht kommt, kannst du machen, was du willst, ich sage nichts, und eventuell —« Eine Handbewegung gab zu verstehen, daß auch er, in einen derartigen Konflikt gestellt, Guste unbedenklich dahinopfern würde. Dies erboste Guste. »Das ist ja Mord! Wie komm ich dazu, daß ich muß draufgehen, weil Lohengrin ein temperamentloser Hammel ist. Nicht einmal in der Hochzeitsnacht hat Elsa von ihm was gemerkt!« Und Guste rümpfte die Nase, wie damals beim Verlassen des Liebeskabinetts, wo auch nichts geschehen war.
Auf dem Heimweg versöhnten sich die Verlobten. »Das ist die Kunst, die wir brauchen!« rief Diederich aus. »Das ist deutsche Kunst!« Denn hier erschienen ihm, in Text und Musik, alle nationalen Forderungen erfüllt. Empörung war hier dasselbe wie Verbrechen, das Bestehende, Legitime ward glanzvoll gefeiert, auf Adel und Gottesgnadentum der höchste Wert gelegt, und das Volk, ein von den Ereignissen ewig überraschter Chor, schlug sich willig gegen die Feinde seiner Herren. Der kriegerische Unterbau und die mystischen Spitzen, beides war gewahrt. Auch wirkte es bekannt
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