Der Untertan
rief Guste: »Hat ihn schon!« Sie stand entschlossen auf.
»Daß du es nur weißt, Mutter, ich habe mich verändert.«
Frau Daimchen, noch außer Atem, begriff nicht sogleich. Guste und Diederich vereinten ihre Anstrengungen, um sie aufzuklären. Schließlich gestand sie, daß sie selbst, weil die Leute nun einmal redeten, an so etwas schon gedacht habe. »Wolfgang war sowieso 'n bißchen zu miesepeterig, außer er hatte was getrunken. Bloß die Familie, dagegen kommen Heßlings nicht auf.«
Das werde sie sehen, behauptete Diederich; und er kündigte an, daß nichts abgemacht sei, solange das Praktische noch nicht stimmte. Die Ausweise über Gustes Mitgift mußten herbei, dann verlangte er Gütergemeinschaft — und was er nachher mit dem Gelde anfing, da durfte niemand hineinreden! Bei jedem Widerspruch hielt er den Türgriff schon in der Hand, und jedesmal sprach Guste leise und angstvoll zu ihrer Mutter: »Soll denn morgen die ganze Stadt sich den Mund verrenken, weil ich den einen los bin, und der andere ist auch gleich wieder weg?«
Als alles stimmte, ward Diederich jovial. Er aß zu Abend mit den Damen und wollte schon, ohne lange zu fragen, das Dienstmädchen nach dem Verlobungssekt schicken. Dies kränkte Frau Daimchen, denn natürlich hatte sie welchen im Hause, das verlangten die Herren Offiziere, die bei ihr verkehrten. »Überhaupt haben Sie mehr Glück als Verstand, denn den Herrn Leutnant von Brietzen hätte Guste auch gekriegt.« Darauf lachte Diederich wohlgemut. Alles ging gut. Für ihn das viele Geld, und der Leutnant von Brietzen für Emmi!... Man ward sehr lustig; bei der zweiten Flasche taumelte das Brautpaar auf seinen Stühlen immer einer gegen den andern, ihre Füße waren umeinandergewickelt bis zum Knie, und Diederichs Hand beschäftigte sich unten. Drüben drehte Frau Daimchen die Daumen. Plötzlich verursachte Diederich ein donnerndes Geräusch und erklärte sofort, er übernehme dafür die volle Verantwortung, es sei in aristokratischen Kreisen üblich, er verkehre bei Wulckows.
Welche Überraschung, als Netzig den Umschwung der Dinge erfuhr! Auf die Erkundigungen der Gratulanten erwiderte Diederich, was er mit den anderthalb Millionen seiner Frau beginnen werde, sei ganz ungewiß. Vielleicht ziehe er nach Berlin, für großzügige Unternehmungen sei es das Angezeigte. Seine Fabrik jedenfalls denke er bei Gelegenheit zu verkaufen. »Die Papierindustrie macht überhaupt eine Krise durch; diese mitten in Netzig gelegene Klitsche hat in meinen Verhältnissen keinen Sinn mehr.«
Daheim gab es eitel Sonnenschein. Die Schwestern erhielten ein erhöhtes Taschengeld, und seiner Mutter gestattete Diederich so viele Rührszenen und Umarmungen, als sie sich irgend wünschen konnte; ja, er nahm willig ihren Segen entgegen. Guste, sooft sie kam, trat in der Rolle einer Fee auf, die Arme voll Blumen, Bonbons, silbernen Beuteln. An ihrer Seite schien Diederich über Blumen zu wandeln. Die Tage entschwebten himmlisch leicht, unter Einkäufen, Sektfrühstücken und den Brautvisiten, einen vornehmen Lohndiener auf dem Bock, und drinnen im Wagen die Verlobten anregend miteinander beschäftigt.
Die schöne Laune, die mit ihrem Dasein spielte, führte sie eines Abends in den »Lohengrin«. Die beiden Mütter hatten sich dazu verstehen müssen, zu Hause zu bleiben; es war der feste Wille des Brautpaares, der Schicklichkeit zum Trotz allem in einer Proszeniumsloge zu sitzen. Das breite rote Plüschsofa an der Wand, wo man nicht gesehen werden konnte, war eingedrückt, und fleckig, es hatte etwas reizvoll Fragwürdiges. Guste wollte wissen, daß diese Loge eigentlich den Herren Offizieren gehörte und daß sie hier Besuche von Schauspielerinnen empfingen!
»Über die Schauspielerinnen sind wir glücklich hinaus«, erklärte Diederich, und er ließ durchblicken, daß er allerdings bis vor kurzem mit einer gewissen Dame vom Theater, die er natürlich nicht nennen könne — Gustes fieberhafte Fragen wurden rechtzeitig unterbrochen durch das Klopfen des Kapellmeisters. Sie nahmen ihre Plätze ein.
»Hähnisch ist noch wabbeliger geworden«, bemerkte Guste sogleich, und sie nickte nach dem Dirigenten hinab. Er machte auf Diederich einen hochkünstlerischen, wenn auch ungesunden Eindruck. Schwarze, verwirrte Haarsträhnen wippten, indes er mit allen seinen Gliedmaßen den Takt schlug, über seinem großen grauen Gesicht, dessen Fettsäcke mitwippten; und in Frack und Hose wogte es rhythmisch. Im Orchester
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