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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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war großer Betrieb, dennoch gab Diederich zu verstehen, daß er auf Ouvertüren keinen Wert lege. Überhaupt, meinte Guste, wenn man den »Lohengrin« in Berlin kannte! Der Vorhang ging auf, und schon kicherte sie verachtungsvoll. »Gott, die Ortrud! Sie hat einen Schlafrock und ein Frontkorsett!« Diederich hielt sich mehr an den König unter der Eiche, der sichtlich die prominenteste Persönlichkeit war. Sein Auftreten wirkte nicht besonders schneidig; der Regierungspräsident Wulckow brachte Baß und Vollbart entschieden besser zur Geltung; aber was er äußerte, war vom nationalen Standpunkt aus zu begrüßen. »Des Reiches Ehr zu wahren, ob Ost, ob West.« Bravo! Sooft er das Wort »deutsch« sang, reckte er die Hand hinauf, und die Musik bekräftigte es ihrerseits. Auch sonst unterstrich sie markig, was man hören sollte. Markig, das war das Wort. Diederich wünschte sich, er hätte zu seiner Rede in der Kanalisationsdebatte eine solche Musik gehabt. Der Heerrufer dagegen stimmte ihn wehmütig, denn er glich auf ein Haar seinem einstigen Kommilitonen, dem dicken Delitzsch, in all seiner verflossenen Bierehrlichkeit. Infolgedessen sah Diederich die Gesichter der Mannen näher an und fand überall Neuteutonen. Sie hatten größere Bäuche und Bärte bekommen und sich gegen die harte Zeit mit Blech gerüstet. Auch schienen nicht alle sich in günstigen Lebensumständen zu befinden; die Edlen sahen aus wie mittlere Beamte des Mittelalters, mit Ledergesichtern und Knickebeinen, die Unedlen noch weniger glänzend; aber der Verkehr mit ihnen wäre unzweifelhaft in tadellosen Formen verlaufen. Überhaupt ward Diederich gewahr, daß man sich in dieser Oper sogleich wie zu Hause fühlte.
    Schilder und Schwerter, viel rasselndes Blech, kaisertreue Gesinnung, Ha und Heil und hochgehaltene Banner und die deutsche Eiche: man hätte mitspielen mögen.
    Was den weiblichen Teil der Brabanter Gesellschaft betraf, der ließ freilich zu wünschen. Guste stelle spöttische Fragen: Welche es denn nun sei, mit der er — »Vielleicht die Ziege in dem Hängekleid? Oder die dicke Kuh mit dem Goldreifen zwischen den Hörnern?« Und Diederich war nicht weit davon entfernt, sich für die schwarze Dame mit dem Frontkorsett zu entscheiden, als er noch rechtzeitig bemerkte, daß eben sie in der ganzen Angelegenheit nicht einwandfrei dastand. Ihr Gatte Telramund schien zunächst noch leidlich Komment zu haben, aber eine höchst üble Klatschgeschichte spielte offenbar auch hier mit. Leider war die deutsche Treue, selbst wo sie ein so glänzendes Bild darbot, bedroht von den jüdischen Machenschaften der dunkelhaarigen Rasse.
    Beim Auftreten Elsas war es ohne weiteres klar, auf welcher Seite man Klasse voraussetzen durfte. Der biedere König hätte es nicht nötig gehabt, die Sache dermaßen objektiv zu behandeln: Elsas ausgesprochen germanischer Typ, ihr wallendes blondes Haar, ihr gutrassiges Benehmen boten von vornherein gewisse Garantien. Diederich faßte sie ins Auge, sie sah herauf, sie lächelte lieblich. Darauf griff er nach dem Opernglas, aber Guste entriß es ihm. »Also die Merée ist es?« zischte sie; und da er vielsagend lächelte: »Einen feinen Geschmack hast du, ich kann mich geschmeichelt fühlen. Die ausgemergelte Jüdin!« — »Jüdin?« — »Die Merée, selbstredend, sie heißt doch Meseritz, und vierzig Jahre ist sie alt.« — Betreten nahm er das Glas, das Guste ihm höhnisch anbot, und überzeugte sich. Na ja, die Welt des Scheins. Enttäuscht lehnte Diederich sich zurück. Dennoch konnte er nicht hindern, daß Elsas keusche Vorahnung weiblicher Lustempfindungen ihn geradesosehr rührte wie den König und die Edlen. Das Gottesgericht schien auch ihm ein hervorragend praktischer Ausweg, auf die Weise ward niemand kompromittiert. Daß die Edlen sich auf die faule Sache nicht einlassen würden, war freilich vorherzusehen. Man mußte schon mit etwas Außerordentlichem rechnen; die Musik tat das Ihre, sie machte einen geradezu auf alles gefaßt. Diederich hatte den Mund offen und so dummselige Augen, daß Guste heimlich einen Lachkrampf bekam. Jetzt war er soweit, alle waren soweit, jetzt konnte Lohengrin kommen. Er kam, funkelte, schickte den Zauberschwan fort, funkelte noch betörender. Mannen, Edle und der König unterlagen alle derselben Verblüffung wie Diederich. Nicht umsonst gab es höhere Mächte... Ja, die allerhöchste Macht verkörperte sich hier, zauberhaft blitzend. Ob Schwanen- oder Adlerhelm: Elsa wußte

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