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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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öffnete, und schrie noch, als sie schon vor ihm stand. »Was willst du?« fragte sie zornig, worauf Diederich sich sammelte. Von der Treppe spähten mit fragendem Entsetzen Frau Heßling und Guste hinauf. »Unten bleiben!« befahl er, und er drängte Emmi in das Zimmer zurück. Er schloß die Tür. »Das brauchen die anderen nicht zu riechen«, sagte er knapp, und er nahm aus der Waschschüssel einen kleinen Schwamm, der von Chloroform troff. Er hielt ihn mit gestrecktem Arm von sich fort und heischte: »Woher hast du das?« Sie warf den Kopf zurück und sah ihn an, sagte aber nichts. Je länger dies dauerte, um so weniger wichtig fühlte Diederich die Frage werden, die doch von Rechts wegen die erste war. Schließlich ging er einfach zum Fenster und warf den Schwamm in den dunklen Hof. Es platschte, er war in den Bach gefallen. Diederich seufzte erleichtert.
    Jetzt hatte Emmi eine Frage: »Was führst du hier eigentlich auf? Laß mich gefälligst machen, was ich will!«
    Dies kam ihm unerwartet: »Ja was — was willst du denn?«
    Sie sah weg, sie sagte achselzuckend: »Dir kann es gleich sein.«
    »Na höre mal!« Diederich empörte sich. »Wenn du vor deinem himmlischen Richter dich nicht mehr genierst, was ich persönlich durchaus mißbillige: ein bißchen Rücksicht könntest du wohl auch auf uns hier nehmen. Man ist nicht allein auf der Welt.«
    Ihre Gleichgültigkeit verletzte ihn ernstlich. »Einen Skandal in meinem Hause verbitte ich mir! Ich bin der erste, den es trifft.«
    Plötzlich sah sie ihn an. »Und ich?«
    Er schnappte. »Meine Ehre —!« Aber er hörte gleich wieder auf: ihre Miene, die er nie so ausdrucksvoll gekannt hatte, klagte und höhnte zugleich. In seiner Verwirrung ging er zur Tür. Hier fiel ihm ein, was das Gegebene sei.
    »Im übrigen werde ich meinerseits als Bruder und Ehrenmann natürlich voll und ganz meine Pflicht tun. Ich darf erwarten, daß du dir inzwischen die äußerste Zurückhaltung auferlegst.« Mit einem Blick nach der Waschschüssel, aus der noch immer der Geruch kam: »Dein Ehrenwort!«
    »Laß mich in Ruhe«, sagte Emmi. Da kehrte Diederich zurück.
    »Du scheinst dir des Ernstes der Lage denn doch nicht bewußt zu sein. Du hast, wenn das, was ich fürchten muß, wahr ist —«
    »Es ist wahr«, sagte Emmi.
    »Dann hast du nicht nur deine eigene Existenz, zum mindesten deine gesellschaftliche, in Frage gestellt, sondern deine ganze Familie mit Schande bedeckt. Und wenn ich nun im Namen von Pflicht und Ehre vor dich hintrete —«
    »Dann ist es auch noch so«, sagte Emmi.
    Er erschrak; er setzte an, um seinen Abscheu zu bekunden vor so viel Zynismus, aber in Emmis Gesicht stand zu deutlich, was alles sie durchschaut und abgetan hinter sich ließ. Vor der Überlegenheit ihrer Verzweiflung kam Diederich ein Schaudern an. In ihm zersprang es wie künstliche Federn. Die Beine wurden ihm weich, er setzte sich und brachte hervor: »So sag mir doch nur — Ich will dir auch —« Er sah an Emmis Erscheinung hin, das Wort Verzeihen blieb ihm stecken. »Ich will dir helfen«, sagte er. Sie sagte müde: »Wie willst du das wohl machen«, und sie lehnte sich drüben an die Wand.
    Er sah vor sich nieder. »Du mußt mir freilich einige Aufklärungen geben: ich meine, über gewisse Einzelheiten. Ich vermute, daß es schon seit deinen Reitstunden dauert?...«
    Sie ließ ihn weiter vermuten, sie bestätigte nicht, noch widersprach sie — wie er aber zu ihr aufsah, hatte sie weich geöffnete Lippen, und ihr Blick hing an ihm mit Staunen. Er begriff, daß sie staunte, weil er vieles, das sie allein getragen hatte, ihr abnahm, indem er es aussprach. Ein unbekannter Stolz erfaßte sein Herz, er stand auf und sagte vertraulich: »Verlaß dich auf mich. Gleich morgen früh gehe ich hin.«
    Sie bewegte leise und angstvoll den Kopf.
    »Du kennst das nicht. Es ist aus.«
    Da machte er seine Stimme wohlgemut. »Ganz wehrlos sind wir auch nicht! Ich möchte doch sehen!«
    Zum Abschied gab er ihr die Hand. Sie rief ihn nochmals zurück.
    »Du wirst ihn fordern?« Sie riß die Augen auf und hielt die Hand vor den Mund.
    »Wieso?« machte Diederich, denn hieran hatte er nicht mehr gedacht.
    »Schwöre mir, daß du ihn nicht forderst!«
    Er versprach es. Zugleich errötete er, denn er hätte gern noch gewußt, für wen sie fürchtete, für ihn oder für den andern. Dem andern würde er es nicht gegönnt haben. Aber er unterdrückte die Frage, weil die Antwort ihr peinlich sein konnte; und er

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