Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:
verließ das Zimmer beinahe auf den Fußspitzen.
    Die beiden Frauen, die noch immer drunten warteten, schickte er streng zu Bett. Er selbst legte sich erst dann neben Guste, als sie schon schlief. Er hatte zu bedenken, wie er morgen auftreten würde. Natürlich imponieren! Zweifel am Ausgang der Sache überhaupt nicht zulassen!... Aber anstatt seiner eigenen, schneidigen Gestalt erschien vor Diederichs Geist immer wieder ein gedrungener Mann mit blanken bekümmerten Augen, der bat, aufbrauste und ganz zusammenbrach: Herr Göppel, Agnes Göppels Vater. Jetzt verstand Diederich in banger Seele, wie damals dem Vater zumute gewesen war. »Du kennst das nicht«, meinte Emmi. Er kannte es — weil er es zugefügt hatte.
    »Gott bewahre!« sagte er laut und wälzte sich herum. »Ich lasse mich auf die Sache nicht ein. Emmi hat doch nur geblufft mit dem Chloroform. Die Weiber sind raffiniert genug dafür. Ich werf sie hinaus, wie es sich gehört!« Da stand vor ihm auf regnerischer Straße Agnes und starrte, das Gesicht weiß von Gaslicht, zu seinem Fenster hinauf. Er deckte das Bettuch über seine Augen. ›Ich kann sie nicht auf die Straße jagen!‹ Es ward Morgen, und er sah verwundert, was mit ihm geschehen war.
    ›Ein Leutnant steht früh auf‹, dachte er und entwischte, bevor Guste wach wurde. Hinter dem Sachsentor die Gärten zwitscherten und dufteten zum Frühlingshimmel. Die Villen, noch verschlossen, sahen frisch gewaschen aus und als seien lauter Neuvermählte hineingezogen. ›Wer weiß‹, dachte Diederich und atmete die gute Luft ein, ›vielleicht ist es gar nicht schwer. Es gibt anständige Menschen. Auch liegen die Dinge doch wesentlich günstiger als —‹ Er ließ den Gedanken lieber fallen. Dort hinten hielt ein Wagen — vor welchem Haus denn? Also doch. Das Gitter stand offen, auch die Tür. Der Bursche kam ihm entgegen. »Lassen Sie nur«, sagte Diederich, »ich sehe den Herrn Leutnant schon.« Denn im Zimmer gradaus packte von Brietzen einen Koffer. »So früh?« fragte er, ließ den Deckel des Koffers fallen und klemmte sich den Finger ein. »Verdammt.« Diederich dachte entmutigt: ›Er ist auch beim Packen.‹
    »Welchem Zufall verdanke ich denn —«, begann Herr von Brietzen, aber Diederich machte, ohne es zu wollen, eine Bewegung, des Sinnes, daß dies unnütz sei. Trotzdem natürlich leugnete Herr von Brietzen. Er leugnete sogar länger als damals Diederich, und Diederich erkannte dies innerlich an, denn wenn es auf die Ehre eines Mädchens ankam, hatte ein Leutnant immerhin noch um einige Grade genauer zu sein als ein Neuteutone. Als man endlich über die Lage der Dinge im reinen war, stellte Herr von Brietzen sich dem Bruder sofort zur Verfügung, was von ihm gewiß nicht anders zu erwarten war. Aber Diederich, trotz seinem tiefen Bangen, erwiderte mit heiterer Stirn, er hoffe, eine Austragung mit den Waffen erübrige sich, wenn nämlich Herr von Brietzen — Und Herr von Brietzen machte eben das Gesicht, das Diederich vorhergesehen hatte, und brauchte eben die Ausreden, die in Diederichs Geist schon erklungen waren. In die Enge getrieben, sagte er den Satz, den Diederich vor allem fürchtete und der, er sah es ein, nicht zu vermeiden war. Ein Mädchen, das ihre Ehre nicht mehr hatte, machte man nicht zur Mutter seiner Kinder! Diederich antwortete darauf, was Herr Göppel geantwortet hatte, niedergeschlagen wie Herr Göppel. Den rechten Zorn fand er erst, als er an seine große Drohung gelangte, die Drohung, von der er sich schon seit gestern den Erfolg versprach.
    »Angesichts Ihrer unritterlichen Weigerung, Herr Leutnant, sehe ich mich leider veranlaßt, Ihren Oberst von der Sache in Kenntnis zu setzen.«
    Wirklich schien Herr von Brietzen peinlich getroffen. Er fragte unsicher: »Was wollen Sie damit erreichen? Daß ich eine Moralpredigt kriege? Na schön. Im übrigen aber —« Herr von Brietzen festigte sich wieder, »was Ritterlichkeit ist, darüber denkt der Oberst denn doch wohl etwas anders als ein Herr, der sich nicht schlägt.«
    Da aber stieg Diederich. Herr von Brietzen möge gefälligst seine Zunge hüten, sonst könnte es ihm passieren, daß er es mit der Neuteutonia zu tun bekomme! Ihm, Diederich, sei der freudige Blutverlust für die Ehre der Farben durch seine Schmisse bescheinigt! Er wolle dem Herrn Leutnant wünschen, daß er einmal in den Fall komme, einen Grafen von Tauern-Bärenheim zu fordern! »Ich hab ihn glatt gefordert!« Und im selben Atem behauptete er, daß

Weitere Kostenlose Bücher