Der Untertan
Bekanntmachung berief, prozessierte der Mann und bekam abenteuerlicherweise sogar recht. Hierdurch in seinem Glauben an die herrschende Ordnung erschüttert, ward er zum Aufwiegler, verkam sittlich und wäre unter andern Umständen unbedingt entlassen worden. So aber konnte Diederich sich nicht entschließen, das Gebiß, das ihn teuer zu stehen kam, dahinzugehen, und behielt daher auch den Mann... Die ganze Angelegenheit, er verhehlte es sich nicht, war dem Geiste der Arbeiterschaft nicht zuträglich. Hinzu kam die Einwirkung gefährlicher politischer Ereignisse. Als im neu eröffneten Reichstagsgebäude mehrere sozialdemokratische Abgeordnete beim Kaiserhoch sitzen geblieben waren, da konnte man nicht mehr zweifeln, die Notwendigkeit einer Umsturzvorlage war bewiesen. Diederich machte in der Öffentlichkeit dafür Stimmung; seine Leute bereitete er darauf in einer Ansprache vor, die sie mit düsterem Schweigen aufnahmen. Die Mehrheit des Reichstages war gewissenlos genug, die Vorlage abzulehnen, und der Erfolg ließ nicht warten, ein Industrieller ward ermordet. Ermordet! Ein Industrieller! Der Mörder behauptete, kein Sozialdemokrat zu sein, aber das kannte Diederich von seinen eigenen Leuten her; und der Ermordete sollte arbeiterfreundlich gewesen sein, aber das kannte Diederich an sich selbst. Tage- und wochenlang öffnete er keine Tür ohne Bangen vor einem dahinter schon gezückten Messer. Sein Büro erhielt Selbstschüsse, und gemeinsam mit Guste kroch er jeden Abend durch das Schlafzimmer und suchte. Seine Telegramme an den Kaiser, mochten sie von der Stadtverordnetenversammlung ausgehen, vom Vorstand der »Partei des Kaisers«, vom Unternehmerverband oder vom Kriegerverein: die Telegramme, mit denen Diederich den Allerhöchsten Herrn überschüttete, schrien nach Hilfe gegen die von den Sozialisten angefachte Revolutionsbewegung, der wieder ein Opfer mehr erlegen war; nach Befreiung von dieser Pest, nach schleunigen gesetzlichen Maßnahmen, militärischem Schutz der Autorität und des Eigentums, nach Zuchthausstrafen für Streikende, die jemand abhielten zu arbeiten... Die »Netziger Zeitung«, die alles dies pünktlich wiedergab, vergaß aber keinesfalls hinzuzufügen, wie sehr gerade Herr Generaldirektor Doktor Heßling sich verdient mache um den sozialen Frieden und die Arbeiterfürsorge. Jedes von Diederich neuerbaute Arbeiterhaus führte Nothgroschen stark geschmeichelt im Bilde vor und schrieb dazu einen hochgestimmten Artikel. Mochten gewisse andere Arbeitgeber, deren Einfluß in Netzig glücklicherweise nicht mehr in Frage kam, unter ihren Angestellten subversive Tendenzen schüren, indem sie sie am Gewinn beteiligten. Die von Herrn Generaldirektor Doktor Heßling vertretenen Grundsätze zeitigten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer das denkbar beste Verhältnis, wie Seine Majestät der Kaiser es überall in der deutschen Industrie zu sehen wünschten. Ein kräftiger Widerstand gegen die unberechtigten Forderungen der Arbeiter sowie eine Koalition der Arbeitgeber gehörten bekanntlich gleichfalls zum sozialen Programm des Kaisers, das mit zu verwirklichen ein Ruhmestitel des Herrn Generaldirektor Doktor Heßling war. — Und daneben stand Diederichs Bild.
Solche Anerkennung spornte zu immer eifrigerer Betätigung an — trotz der unerlösten Sünde, die ihre verheerende Wirkung übrigens nicht nur geschäftlich, sondern auch in der Familie äußerte. Hier war es leider Kienast, der Neid und Zwietracht säte. Er behauptete, daß ohne ihn und seine unauffällige Vermittlung beim Ankauf der Aktien Diederich seine glänzende Stellung gar nicht erlangt haben würde. Worauf Diederich erwiderte, daß Kienast durch einen seinen Mitteln entsprechenden Aktienbesitz entschädigt sei. Dies erkannte der Schwager nicht an, vielmehr vermaß er sich, für seine pietätlosen Ansprüche eine rechtliche Grundlage gefunden zu haben. War er nicht als Gatte Magdas der Mitbesitzer, zu einem Achtel ihres Wertes, der alten Heßlingschen Fabrik gewesen? Die Fabrik war verkauft, Diederich hatte bares Geld und Gausenfelder Vorzugsaktien dafür bekommen. Kienast verlangte ein Achtel der Kapitalrente und der jährlichen Dividende der Vorzugsaktien. Auf dieses unerhörte Ansinnen erwiderte Diederich mit aller Energie, daß er weder seinem Schwager noch seiner Schwester irgend etwas mehr schuldig sei. »Ich war nur verpflichtet, euch euren Anteil vom jährlichen Gewinn meiner Fabrik zu zahlen. Meine Fabrik ist verkauft.
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