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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Gemeindebeamter sich durch sein Verhalten in und außer dem Amte der Achtung, die dieses erfordert, würdig zu erweisen hatte. Ob der alte Buck diese Bestimmung erfüllte? Die Frage aufwerfen hieß sie verneinen, wie die »Netziger Zeitung«, ohne natürlich seinen Namen zu nennen, feststellte. Aber es mußte erst so weit kommen, daß die Stadtverordnetenversammlung mit der Angelegenheit befaßt ward. Da endlich, einen Tag vor der Debatte, nahm der hartgesottene Alte Vernunft an und legte sein Amt als Stadtrat nieder. Seine politischen Freunde konnten ihn hiernach, bei Gefahr, die letzten Anhänger zu verlieren, nicht länger an der Spitze der Partei lassen. Er machte es ihnen nicht leicht, wie es schien; mehrfache Besuche bei ihm und ein sanfter Druck waren nötig, bevor in der Zeitung sein Brief erschien: das Wohl der Demokratie sei ihm wichtiger als seins. Da ihr, unter der Einwirkung von Leidenschaften, die er für vergänglich halten wolle, jetzt Schaden drohe durch seinen Namen, trete er zurück. »Wenn es dem Ganzen nützen kann, bin ich bereit, den ungerechten Makel, den der getäuschte Volkswille mir auferlegt, zu tragen, im Glauben an die ewige Gerechtigkeit des Volkes, das ihn dereinst wieder von mir nehmen wird.«
    Dies faßte man als Heuchelei und Überhebung auf; die Wohlmeinenden entschuldigten es mit Greisenhaftigkeit. Übrigens hatte, was er schrieb oder nicht schrieb, keinen Belang mehr, denn was war er noch? Leute, die ihm Stellungen oder Gewinn verdankten, sahen ihm plötzlich ins Gesicht, ohne an den Hut zu fassen. Manche lachten und machten laute Bemerkungen: es waren die, denen er nichts zu befehlen gehabt hatte und die dennoch voll Ergebenheit gewesen waren, solange er das allgemeine Ansehen genoß. Statt der alten Freunde aber, die auf seinem täglichen Spaziergang sich niemals vorfanden, kamen neue, seltsame. Sie begegneten ihm, wenn er heimkehrte und es schon dämmerte, und es war etwa ein kleiner Geschäftsmann mit gehetzten Augen, dem der Bankerott im Nacken saß, oder ein düsterer Trunkenbold, oder irgendein die Häuser entlangstreichender Schatten. Diese sahen ihm, den Schritt verlangsamend, entgegen mit scheuer oder frecher Vertraulichkeit. Sie rückten wohl zögernd ihre Kopfbedeckung, dann winkte der alte Buck ihnen zu, und auch die Hand, die hingehalten ward, nahm er, ganz gleich welche.
    Da die Zeit verging, beachtete auch der Haß ihn nicht mehr. Wer mit Absicht weggesehen hatte, ging nun gleichgültig vorbei, und manchmal grüßte er wieder, aus alter Gewohnheit. Ein Vater, der seinen jungen Sohn bei sich hatte, bekam eine nachdenkliche Miene, und waren sie vorüber, erklärte er dem Kinde: »Hast du den alten Herrn gesehen, der da so allein hinschleicht und niemand ansieht? Dann merke dir für dein Leben, was aus einem Menschen die Schande machen kann.« Und das Kind ward fortan beim Anblick des alten Buck von einem geheimnisvollen Grauen überlaufen, gleichwie das erwachsene Geschlecht, als es klein war, bei seinem Anblick einen unerklärten Stolz gefühlt hatte. Junge Leute freilich gab es, die der herrschenden Meinung nicht folgten. Manchmal, wenn der Alte das Haus verließ, war eben die Schule aus. Die Herden der Heranwachsenden trabten davon, ehrfürchtig machten sie ihren Lehrern Platz, und Kühnchen, jetzt rückhaltlos national, oder Pastor Zillich, sittenstrenger als je seit dem Unglück mit Käthchen, eilten hindurch, ohne einen Blick für den Gefallenen. Da blieben am Wege diese wenigen jungen Leute stehen, jeder für sich, wie es schien, und aus eigenem Antrieb. Ihre Stirnen sahen weniger glatt aus als die meisten; sie hatten Ausdruck in den Augen, nun sie Kühnchen und Zillich den Rücken kehrten und vor dem alten Buck den Kopf entblößten. Unwillkürlich hielt er dann den Schritt an und sah in diese zukunftsträchtigen Gesichter, noch einmal voll der Hoffnung, mit der er sein Leben lang in alle Menschengesichter gesehen hatte.
    Diederich inzwischen hatte wahrhaftig keine Zeit, viel Aufmerksamkeit zu wenden an nebensächliche Begleiterscheinungen seines Aufstiegs. Die »Netziger Zeitung«, jetzt unbedingt zu Diederichs Verfügung, stellte fest, daß Herr Buck selbst es gewesen sei, der, noch bevor er den Vorsitz im Aufsichtsrat niederlegte, die Berufung des Herrn Doktor Heßling zum Generaldirektor befürworten mußte. An der Tatsache spürte mancher einen eigenartigen Geschmack. Doch gab Nothgroschen zu bedenken, daß Herr Generaldirektor Doktor Heßling sich ein

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