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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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schlenkerte Wasser, und in der rückwärtigen Erweiterung der Beinkleider trug er eine Pfütze mit sich herum. Da ein Wagen nicht erreichbar schien, beschloß er, die innere Stadt zu durchqueren. Die Winkel der alten Straßen fingen den Wind ab, ihm ward es wärmer. ›Von einem Katarrh ist nicht die Rede. Guste soll mir aber doch einen Wickel um den Bauch machen. Wenn sie nur gefälligst keine Influenza ins Haus einschleppt!‹ Nach dieser Sorge erinnerte er sich seines Ordens: »Der Wilhelms-Orden, Stiftung Seiner Majestät, wird nur verliehen für hervorragende Verdienste um die Wohlfahrt und Veredelung des Volkes... Den haben wir!« sagte Diederich laut in der leeren Gasse. »Und wenn es Dynamit regnet!« Der Umsturz der Macht von seiten der Natur war ein Versuch mit unzulänglichen Mitteln gewesen. Diederich zeigte dem Himmel seinen Wilhelms-Orden und sagte »Ätsch!« — worauf er ihn sich ansteckte, neben den Kronenorden vierter Klasse.
    In der Fleischhauergrube hielten mehrere Fuhrwerke: merkwürdig, vor dem Haus des alten Buck. Eins war noch dazu ein Landwagen. Sollte etwa —? Diederich spähte in das Haus: die gläserne Flurtür stand außerordentlicherweise offen, so als würde jemand erwartet, der selten kam. Feierlich still die weite Diele, nur, wie er an der Küche vorbeischlich, ein Wimmern: die alte Magd, mit dem Gesicht auf den Armen. ›Also ist es soweit‹ — und plötzlich ward Diederich von einem Schauer angerührt, er blieb stehen, bereit, den Rückzug anzutreten. ›Dabei habe ich nichts zu tun... Doch! Dabei habe ich zu tun, denn hier ist jedes Stück mein, ich habe die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie mir nachher nichts forttragen.‹ Aber nicht nur dies drängte ihn vorwärts; Schwierigeres und Tieferes kündigte sich an mit Schnaufen und Bauchklemmen. Gehaltenen Schrittes erstieg er die flachen alten Stufen und dachte: ›Respekt vor einem tapferen Feind, wenn er das Feld der Ehre deckt! Gott hat gerichtet, ja, ja, so geht es, keiner kann sagen, ob er nicht eines Tages — Na hören Sie, es gibt denn doch Unterschiede, eine Sache ist gut oder nicht gut. Und für den Ruhm der guten Sache soll man nichts versäumen, unser alter Kaiser hat sich wahrscheinlich auch zusammennehmen müssen, als er nach Wilhelmshöhe zu dem gänzlich erledigten Napoleon ging.‹
    Hier war er schon im Zwischengeschoß und betrat vorsichtig den langen Gang, an dessen Ende die Tür offen-, auch hier wieder offenstand. Sich gegen die Wand drücken, und einen Blick hinein: Ein Bett, mit dem Fuß hergewendet, darin lehnte an gehäuften Kissen der alte Buck und schien nicht bei sich. Kein Laut; war er denn allein? Behutsam auf die Gegenseite — nun sah man die verhängten Fenster und davor im Halbkreis die Familie: dem Bett zunächst Judith Lauer, ganz starr, dann Wolfgang mit einem Gesicht, das niemand erwartet hätte; zwischen den Fenstern die zusammengedrängte Herde der fünf Töchter neben dem bankerotten Vater, der nicht einmal mehr elegant war; weiterhin der verbauerte Sohn mit seiner stumpfblickenden Frau, und endlich Lauer, der gesessen hatte. Mit gutem Grund hielten alle sich so still; zu dieser Stunde verloren sie die letzte Aussicht, noch einmal mitzureden! Sie waren obenauf gewesen und hatten sich in Sicherheit gewiegt, solange der Alte standhielt. Er war gefallen, und sie mit, er verschwand, und sie alle mit. Er hatte immer nur auf Flugsand gestanden, da er nicht auf der Macht stand. Nichtig Ziele, die fortführten von der Macht! Fruchtlos Geist, denn nichts hinterließ er als Verfall! Verblendung jeder Ehrgeiz, der nicht Fäuste hatte und Geld in den Fäusten!
    Woher aber dies Gesicht, das Wolfgang hatte? Es sah nicht aus wie Trauer, obwohl Tränen aus seinen dort hinüberverlangenden Augen fielen; es sah aus wie Neid, gramvoller Neid. Was hatten die andern? Judith Lauer, deren Brauen sich dunkel zusammenzogen, ihr Mann, der aufseufzte — und die Frau des Ältesten sogar faltete vor dem Gesicht ihre Arbeiterinnenhände. Diederich, in entschlossener Haltung, stellte sich mitten vor die Tür. Es war dunkel im Gang, die da sahen nicht, und mochten sie; aber der Alte? Sein Gesicht war genau hierher gerichtet, und wo es hinsah, ahnte man dennoch mehr, als hier war, Erscheinungen, die niemand ihm verstellen konnte. Ihren Widerschein in seinen überraschten Augen, öffnete er auf den Kissen langsam die Arme, versuchte sie zu heben, hob, bewegte sie, winkend und empfangend — wen doch? Wie viele wohl,

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