Der Untertan
seinerseits fand sie widerwärtig elegant. Sie unternahmen es, in einer unverständlichen Sprache eine Beschwerde an ihn zu richten, worauf er die Achseln zuckte und die Füße in den Socken auf die Bank legte. Sie hielten sich die Nase zu und stießen Hilferufe aus. Der Schaffner erschien, der Zugführer selbst, aber Diederich hielt ihnen sein Billett zweiter Klasse hin und verteidigte sein Recht. Er gab dem Beamten sogar zu verstehen, er möge sich nur nicht die Zunge verbrennen, man könne nie wissen, mit wem man es zu tun habe. Als er dann den Sieg erstritten hatte und die Damen abgezogen waren, kam statt ihrer eine andere. Diederich sah ihr entschlossen entgegen, aber sie zog einfach aus ihrem Beutel eine Wurst und aß sie aus der Hand, wobei sie ihm zulächelte. Da rüstete er ab, erwiderte, breit glänzend, ihre Sympathie und sprach sie an. Es stellte sich heraus, daß sie aus Netzig war. Er nannte seinen Namen, worauf sie frohlockte, sie seien alte Bekannte! »Nun?« Diederich betrachtete sie forschend: das dicke, rosige Gesicht mit dem fleischigen Mund und der kleinen, frech eingedrückten Nase; das weißliche Haar, nett glatt und ordentlich, den Hals, der jung und fett war, und in den Halbhandschuhen die Finger, die die Wurst hielten und selbst rosigen Würstchen glichen. »Nein«, entschied er, »kennen tu ich Sie nicht, aber kolossal appetitlich sind Sie. Wie ein frischgewaschenes Schweinchen.« Und er griff ihr um die Taille. Im selben Augenblick hatte er eine Ohrfeige. »Die sitzt«, sagte er und rieb sich. »Haben Sie mehr solche zu vergeben?« — »Es langt für alle Frechmöpse.« Sie lachte aus der Kehle und zwinkerte ihn mit ihren kleinen Augen unzüchtig an. »Ein Stück Wurst können Sie haben, aber sonst nichts.« Ohne zu wollen, verglich er ihre Art, sich zu wehren, mit Agnes' Hilflosigkeit, und er sagte sich: ›So eine könnte man getrost heiraten.‹ Schließlich nannte sie selbst ihren Vornamen, und als er noch immer nicht weiterfand, fragte sie nach seinen Schwestern. Plötzlich rief er: »Guste Daimchen!« Und beide schüttelten sich vor Freude. »Sie haben mir doch immer Knöpfe geschenkt, von den Lumpen in Ihrer Papierfabrik. Das vergeß ich Ihnen nie, Herr Doktor! Wissen Sie, was ich mit den Knöpfen gemacht hab? Die hab ich gesammelt, und wenn meine Mutter mir mal Geld für Knöpfe gab, hab ich mir Bonbons gekauft.«
»Praktisch sind Sie auch!« Diederich war entzückt. »Und dann sind Sie immer zu uns über die Gartenmauer geklettert, Sie kleine Göre. Hosen hatten Sie meistenteils keine an, und wenn der Rock raufrutschte, kriegte man hinten was zu sehen.«
Sie kreischte; ein feiner Mann habe für so was kein Gedächtnis. »Jetzt muß es aber noch schöner geworden sein«, setzte Diederich noch hinzu. Sie ward plötzlich ernst.
»Jetzt bin ich verlobt.«
Mit dem Wolfgang Buck war sie verlobt! Diederich verstummte, mit enttäuschter Miene. Dann erklärte er zurückhaltend, er kenne Buck. Sie sagte vorsichtig: »Sie meinen wohl, er ist ein bißchen überspannt? Aber die Bucks sind auch eine sehr feine Familie. Na ja, in anderen Familien ist wieder mehr Geld«, setzte sie hinzu. Hierdurch betroffen, sah Diederich sie an. Sie zwinkerte. Er wollte ein Frage stellen; aber er hatte den Mut verloren.
Kurz vor Netzig fragte Fräulein Daimchen: »Und Ihr Herz, Herr Doktor, ist noch frei?«
»Um die Verlobung bin ich noch herumgekommen.« Er nickte gewichtig. »Ach! Das müssen Sie mir erzählen«, rief sie. Aber sie fuhren schon ein. »Wir sehen uns hoffentlich bald wieder«, schloß Diederich. »Ich kann Ihnen nur sagen, ein junger Mann kommt manchmal in verdammt brenzliche Sachen hinein. Für ein Ja oder Nein ist das Leben verpfuscht.«
Seine beiden Schwestern standen am Bahnhof. Wie sie Guste Daimchen erblickten, verzogen sie zuerst das Gesicht, dann aber stürzten sie herbei und halfen das Gepäck tragen. Sie erklärten ihren Eifer, kaum daß sie mit Diederich allein waren. Guste hatte nämlich geerbt, sie war Millionärin! Darum also! Er war erschrocken vor Hochachtung.
Die Schwestern erzählten das Nähere. Ein alter Verwandter in Magdeburg hatte Guste all das Geld vermacht, dafür, daß sie ihn gepflegt hatte. »Und sie hat es sich verdient«, bemerkte Emmi, »er soll zuletzt furchtbar unappetitlich gewesen sein.« Magda setzte hinzu: »Und sonst kann man sich natürlich auch noch allerlei denken, denn Guste war doch ein ganzes Jahr mit ihm allein.«
Sofort bekam Diederich
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