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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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nationale Gesinnung des jungen Geschlechts nur befördern könne, und man stieß an mit Kühnchen. Vor lauter Begeisterung hatte noch keiner bemerkt, daß ein neuer Gast an den Tisch getreten war. Jadassohn sah plötzlich den bescheiden grauen Mann im Hohenzollernmantel und winkte ihm gönnerhaft. »Na, man immer ran, Herr Nothgroschen!« Diederich herrschte ihn an, aus seinen Hochgefühlen heraus: »Wer sind Sie?«
    Der Fremde dienerte.
    »Nothgroschen, Redakteur der ›Netziger Zeitung‹.«
    »Also Hungerkandidat«, sagte Diederich und blitzte. »Verkommene Gymnasiasten, Abiturientenproletariat, Gefahr für uns!«
    Alle lachten; der Redakteur lächelte demütig mit.
    »Seine Majestät hat Sie gekennzeichnet«, sagte Diederich. »Na, setzen Sie sich!«
    Er schenkte ihm sogar Sekt ein, und Nothgroschen trank in dankbarer Haltung. Nüchtern und befangen sah er in der Gesellschaft umher, deren Selbstbewußtsein durch die vielen leer am Boden stehenden Flaschen so sehr gesteigert worden war. Man vergaß ihn sogleich wieder. Er wartete geduldig, bis jemand ihn fragte, wieso er denn mitten in der Nacht noch hier hereinschneie. »Ich mußte das Blatt doch fertigmachen«, erklärte er darauf, wichtig wie ein kleiner Beamter. »Die Herren wollen morgen früh in der Zeitung lesen, wie das war, mit dem erschossenen Arbeiter!«
    »Das wissen wir besser als Sie«, schrie Diederich. »Sie saugen sich das ja doch nur aus Ihren Hungerpfoten!«
    Der Redakteur lächelte entschuldigend, und er hörte ergeben zu, wie alle durcheinander ihm die Vorgänge darstellten. Als der Lärm sich legte, setzte er an. »Da der Herr dort —«
    »Doktor Heßling«, sagte Diederich scharf.
    »Nothgroschen«, murmelte der Redakteur. »Da Sie vorhin den Namen des Kaisers erwähnten, wird es die Herren interessieren, daß wieder eine Kundgebung vorliegt.«
    »Ich verbitte mir jede Nörgelei!« heischte Diederich.
    Der Redakteur duckte sich und legte die Hand auf die Brust. »Es handelt sich um einen Brief des Kaisers.«
    »Der ist Ihnen wohl wieder mal durch einen infamen Vertrauensbruch auf den Schreibtisch geflogen?« fragte Diederich. Nothgroschen stellte beteuernd die Hand vor sich hm. »Er ist vom Kaiser selbst zur Veröffentlichung bestimmt. Morgen früh werden Sie ihn in der Zeitung lesen. Hier ist die Druckfahne!«
    »Legen Sie los, Doktor«, befahl der Major. Diederich rief: »Wieso, Doktor! Sind Sie Doktor!« Aber man interessierte sich nur noch für den Brief, man entriß dem Redakteur den Zettel. »Bravo!« rief Jadassohn, der noch ziemlich mühelos las. »Seine Majestät bekennt sich zum positiven Christentum.« Pastor Zillich frohlockte so heftig, daß sich Schluckauf einstellte. »Das ist was für Heuteufel! Endlich kriegt so ein frecher Wissenschaftler, huck, was ihm gehört. An die Offenbarungsfrage machen sie sich heran. Die versteh ja ich kaum, huck, und ich hab Theologie studiert!« Professor Kühnchen schwenkte die Blätter hoch in der Luft. »Meine Härn! Wenn 'ch den Brief nicht in der Klasse lesen lasse und als Aufsatzthema gebe, will 'ch nicht mehr Kühnchen heeßen!«
    Diederich war tiefernst. »Jawohl war Hammurabi ein Werkzeug Gottes! Ich möchte mal sehen, wer das leugnet!« Und er blitzte umher. Nothgroschen krümmte die Schultern. »Na, und Kaiser Wilhelm der Große!« fuhr Diederich fort. »Von dem bitte ich es mir ganz energisch aus! Wenn der kein Werkzeug Gottes war, dann weiß Gott überhaupt nicht, was 'n Werkzeug ist!«
    »Ganz meine Meinung«, versicherte der Major. Glücklicherweise widersprach auch sonst niemand, denn Diederich war zum Äußersten entschlossen. An den Tisch geklammert, stemmte er sich von seinem Stuhl empor. »Aber unser herrlicher junger Kaiser?« fragte er drohend. Von allen Seiten antwortete es: »Persönlichkeit... Impulsiv... Vielseitig... Origineller Denker.« Diederich war nicht befriedigt.
    »Ich beantrage, daß er auch ein Werkzeug ist!«
    Es ward angenommen.
    »Und ich beantrage ferner, daß wir Seine Majestät von unserm Beschluß telegrafisch in Kenntnis setzen.«
    »Ich befürworte den Antrag!« brüllte der Major. Diederich stellte fest: »Einmütige begeisterte Annahme!« und fiel auf seinen Sitz zurück. Kühnchen und Jadassohn machten sich gemeinsam an die Abfassung der Depesche. Sie lasen vor, sobald sie etwas gefunden hatten.
    »Eine im Ratskeller zu Netzig versammelte Gesellschaft —«
    »Tagende Versammlung«, forderte Diederich. Sie fuhren fort: »Versammlung national

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