Der Untertan
mitbeziehen?« fragte Jadassohn herausfordernd, mit blutig leuchtenden Ohren. Der Major brüllte wieder: »Und mein König kann sich todsicher auf mich verlassen. Er hat mich zu früh weggeschickt, als ehrlicher deutscher Mann sage ich es ihm laut ins Gesicht. Er wird mich noch mal bitter nötig haben, wenn es losgeht. Ich denke nicht daran, den Rest meines Lebens bloß noch mit Knallbonbons zu schießen auf Vereinsbällen. Ich war bei Sedan!«
»Herrjemersch, und ich doch ooch!« ertönte es von dünner Schreistimme aus unsichtbaren Tiefen, und den Schatten der Gewölbe entstieg ein kleiner Greis mit flatternden weißen Haaren. Er schwankte herbei, seine Brillengläser funkelten, seine Backen glühten, und er schrie: »Der Herr Major Kunze! Nu da! Alter Kriegskamerad, bei Ihnen geht's ja zu wie dunnemals in Frankreich. Ich sag es aber immer: Gut gelebt und lieber ä paar Jahre länger!« Der Major stellte ihn vor: »Herr Gymnasialprofessor Kühnchen.« Wie es kam, daß er dort hinten im Dunkeln vergessen worden sei, darüber äußerte der kleine Greis die lebhaftesten Vermutungen. Früher hatte er sich in einer Gesellschaft befunden. »Nu muß ich wohl ä bißchen eingeschlummert sein, und da sein die verdammten Lumichs mir ausgerückt.« Der Schlaf hatte ihm vom Feuer der genossenen Getränke noch nichts genommen, er erinnerte, prahlerisch kreischend, den Major an ihre gemeinsamen Taten im Eisernen Jahr. »Die Franktiröhrs!« schrie er, und aus seinem faltigen, zahnlosen Munde rann Feuchtigkeit. »Das war Sie eene Bande! Wie die Herren mich da sahn, hab ich doch noch immer een steifen Finger, da hat mich ä Franktiröhr draufgebissen. Bloß weil ich ihm mit meim Säbel ä kleenes bißchen die Kehle abschneiden wollte. So eene Gemeinheit von dem Kerl!« Er zeigte den Finger am Tisch umher und erregte Ausrufe der Bewunderung. Diederichs begeisterte Gefühle freilich mischten sich mit Schrecken, er mußte sich in die Lage des Franktireurs denken: Der kleine leidenschaftliche Greis kniete auf seiner Brust und setzte ihm die Klinge an den Hals. Er war genötigt, einen Augenblick hinauszugehen.
Wie er zurückkehrte, gaben der Major und Professor Kühnchen, einander überschreiend, den Bericht eines wilden Kampfes. Man verstand keinen. Aber Kühnchen schrillte immer schärfer durch das Gebrüll des anderen, bis er es zum Schweigen gebracht hatte und ungestört aufschneiden konnte. »Nee, alter Freund, Sie sein ä anschlägscher Kopf. Wenn Sie die Treppe runterfallen, verfehlen Sie keene Stufe. Aber das Feuer damals an dem Haus, wo die Franktiröhrs drinne saßen, das hat Kühnchen angelegt, da gibt's nischt. Ich hab doch eene Kriegslist gebraucht und hab mich totgestellt, da ham die dummen Luder nischt gemerkt. Und wie’s erseht gebrannt hat, nu, versteht sich, da hamse an der Verteidchung des Vaterlandes keen Geschmack mehr gefunden, und bloß noch raus, bloß noch Soofgipöh! Da hätten Se nu aber uns Deutsche sehen sollen. Von der Mauer hammer sie weggeschossen, wie sie runterkrabbeln wollten! Luftsprünge hamse gemacht wie die Garniggel!«
Kühnchen mußte seine Erfindung unterbrechen, er kicherte durchdringend, indes die Tafelrunde dröhnend lachte.
Kühnchen erholte sich. »Die falschen Luder hatten uns aber auch tückisch gemacht! Und die Weiber! Nee, meine Herren, so was Beesartches wie die franzeeschen Weiber, das gibt's Sie nu überhaupt nicht mehr. Heeßes Wasser hatten se uns auf die Köppe geschiddet. Nu frag ich Sie, tut das eene Dame? Wie's brannte, warfen sie die Kinder ausm Fenster und wollten ooch noch von uns, daß wir se auffangen sollten. Hibsch nich, aber dumm! Mit unseren Bajonetten hammer die kleenen Luder uffgefangen. Und dann die Damen!« Kühnchen hielt die gichtischen Finger gekrümmt wie um einen Gewehrkolben und sah dabei nach oben, als gäbe es noch jemand aufzuspießen. Seine Brillengläser funkelten, er log weiter. »Zuletzt kam eene ganz Dicke ran, die konnte von vorn nicht durchs Fenster, drum versuchte se mal, ob's nicht von hinten ginge. Da haste nun aber nicht mit Kühnchen gerechnet, mei Schibbchen. Ich nich faul, steiche uf die Schultern von zwei Kameraden drauf un kitzle sie mit meim Bachonedde in ihren dicken franzeeschen —«
Mehr hörte man nicht, der Beifall war zu laut. Der Professor sagte noch: »Jeden Sedang erzähl ich die Geschichte in ädlen Worten meiner Klasse. Die Jungen solln wissen, was sie für Heldenväter gehabt haben.«
Man war sich einig, daß dies die
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