Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
Vom Netzwerk:
»Fangen Sie schon wieder an?« rief Guste, aber ohne Feindlichkeit. Sie streifte sogar Diederichs Blick und seufzte dabei leicht. »Meiner ist ja immer Gott weiß wo. Man kommt sich vor wie die reine Witwe.« Gedankenvoll sah sie Magda nach, die an Kienasts Arm hing. Diederich gab zu bedenken: »Wer tot ist, kann es auch bleiben. Es gibt noch genug Lebendige.« Dabei drängte er Guste bis an die Häuserwand und sah ihr werbend ins Gesicht; und wirklich, ihr liebes, dickes Gesicht ward einen Augenblick lang gewährend.
    Leider war Schweinichenstraße 77 schon erreicht, und man nahm Abschied. Da hinter dem Sachsentor alles aus war, kehrten die Geschwister mit Herrn Kienast wieder um. Magda, die auf dem Arm ihres Verlobten ruhte, sagte ermunternd zu Diederich: »Nun, was meinst du?« — worauf er rot ward und schnaufte. »Was ist da zu meinen«, brachte er hervor, und Magda lachte.
    In der leeren, stark dämmernden Straße kam ihnen jemand entgegen. »Ist das nicht —?« fragte Diederich, ohne Überzeugung. Aber die Figur näherte sich: dick, offenbar noch jung, mit einem großen, weichen Hut, sonst elegant, und die Füße setzte er einwärts. »Wahrhaftig, Wolfgang Buck!« Er dachte enttäuscht: ›Und Guste stellt sich, als wäre er am Ende der Welt. Das Lügen muß ich ihr austreiben!‹
    »Da sind Sie ja« — der junge Buck schüttelte Diederich die Hand. »Das freut mich.« — »Mich auch«, erwiderte Diederich, trotz der Enttäuschung mit Guste, und er machte seinen Schwager mit seinem Schulfreund bekannt. Buck stattete seine Glückwünsche ab, dann trat er mit Diederich hinter die beiden andern. »Sie wollen gewiß zu Ihrer Braut?« bemerkte Diederich. »Sie ist zu Hause, wir haben sie hinbegleitet.« — »So?« machte Buck und zuckte die Achseln. »Nun, ich finde sie immer noch«, sagte er phlegmatisch. »Vorläufig bin ich froh, daß ich Ihnen mal wieder begegnet bin. Unser Gespräch in Berlin, unser einziges, nicht wahr — es war so anregend.«
    Auch Diederich fand dies jetzt — obwohl es ihn damals nur geärgert hatte. Er war ganz belebt durch das Wiedersehen. »Ja, meinen Gegenbesuch bin ich Ihnen schuldig geblieben. Sie wissen wohl, wieviel einem in Berlin immer dazwischenkommt. Hier freilich hat man Zeit. Öde, wie? Zu denken, daß man hier sein Leben verbringen soll« — und Diederich zeigte die kahle Häuserreihe hinauf. Wolfgang Buck schnupperte mit seiner weich gebogenen Nase in die Luft, auf seinen fleischigen Lippen schien er sie zu kosten, und er machte tiefsinnende Augen. »Ein Leben in Netzig«, sagte er ganz langsam. »Nun ja, es kommt darauf hinaus. Unsereiner ist nicht in der Lage, bloß für seine Sensationen zu leben. Übrigens gibt es auch hier welche.« Er lächelte verdächtig. »Der Wachtposten hat bis sehr hoch hinauf Sensation gemacht.«
    »Ach so —« Diederich streckte den Bauch vor. »Sie wollen schon wieder nörgeln. Ich stelle fest, daß ich in der Sache durchaus auf seiten Seiner Majestät stehe.«
    Buck winkte ab. »Lassen Sie nur. Ich kenne ihn.«
    »Ich noch besser«, behauptete Diederich. »Wer ihm, wie ich, ganz allein und Aug in Auge gegenübergestanden hat, im Tiergarten vorigen Februar, nach dem großen Krawall, und dies Auge blitzen gesehen hat, dies Fritzenauge, sag ich Ihnen: der vertraut auf unsere Zukunft.«
    »Auf unsere Zukunft — weil ein Auge geblitzt hat.« Bucks Mund und Wangen sanken schwer melancholisch herab. Diederich stieß Luft durch die Nase. »Ich weiß schon, Sie glauben in unserer Zeit an keine Persönlichkeit. Sonst wären Sie ja Lassalle oder Bismarck geworden.«
    »Schließlich könnte ich es mir leisten. Gewiß. Geradeso gut wie — er. Wenn auch weniger begünstigt von den äußeren Umständen.«
    Sein Ton ward lebhafter und überzeugter. »Worauf es für jeden persönlich ankommt, ist nicht, daß wir in der Welt wirklich viel verändern, sondern daß wir uns ein Lebensgefühl schaffen, als täten wir es. Dazu ist nur Talent nötig, und das hat er.«
    Diederich war beunruhigt, er sah sich um. »Wir sind hier zwar unter uns, die Herrschaften dort vor uns haben Wichtigeres zu besprechen, aber ich weiß doch nicht —«
    »Daß Sie immer glauben, ich habe was gegen ihn. Er ist mir wahrhaftig nicht unsympathischer, als ich mir selbst bin. Ich hätte an seiner Stelle den Gefreiten Lück und unseren Netziger Wachtposten genauso ernst genommen. Wäre das noch eine Macht, die nicht bedroht wäre? Erst wenn es einen Umsturz gibt, fühlt man

Weitere Kostenlose Bücher