Der Untertan
sah, lenkte ab. Sie fragte ihn nach seiner eigenen Familie und ob er denn ganz allein sei. Da bekam er gerührte Augen und rückte näher. Diederich saß dabei, trank und drehte die Daumen. Mehrmals versuchte er noch teilzunehmen an dem Gespräch der beiden, die sich ganz allein zu fühlen schienen. »Na, dann haben Sie also glücklich Ihren Einjährigen gemacht«, sagte er gönnerhaft und wunderte sich dabei über die Zeichen, die Frau Heßling hinter dem Rücken der andern ihm gab. Erst als sie sich aus der Tür schlich, begriff er, nahm sein Punschglas und ging in das dunkle Nebenzimmer zum Klavier. Er tastete ein wenig darauf umher, geriet unversehens in die Burschenlieder und sang dröhnend mit: »Sie wissen den Teufel, was Freiheit heißt.« Als er fertig war, horchte er hinüber; es war drinnen aber so still, als sei man eingeschlafen; und obwohl er sich gern wieder etwas aus der Bowle geschöpft hätte, stimmte er doch aus Pflichtgefühl von neuem an: »Im tiefen Keller sitz ich hier.«
Da, mitten im Vers, fiel ein Stuhl um, und ein lauter Schall folgte, dessen Herkunft nicht zu verkennen war. Mit einem Sprung war Diederich im Wohnzimmer. »Nanu«, sagte er, kräftig und bieder, »Sie scheinen ja ernste Absichten zu haben.« Das Paar löste sich voneinander. »Ich sage nicht nein«, erklärte Herr Kienast. Diederich war plötzlich heftig bewegt. Aug in Auge schüttelte er Kienast die Hand, und mit der andern zog er Magda herbei. »Das ist aber eine Überraschung! Herr Kienast, machen Sie mein Schwesterchen glücklich. An mir sollt ihr allzeit einen guten Bruder haben, so wie ich es bisher gewesen bin, das darf ich wohl sagen.«
Und die Augen wischend, rief er hinaus: »Mutter! Es ist was passiert.« Frau Heßling stand gleich hinter der Tür, nur konnte sie, vor übergroßer Bewegung, nicht sofort ihre Beine gebrauchen. Auf Diederich gestützt, wankte sie herein, fiel Herrn Kienast um den Hals und löste sich dort in Tränen auf. Diederich klopfte inzwischen an Emmis Zimmer, das verschlossen war. »Emmi, komm heraus, es ist was los!« Sie riß endlich die Tür auf, zornrot im Gesicht. »Wozu störst du mich im Schlaf. Ich kann mir schon denken, was los ist. Macht eure Unanständigkeiten allein!« Und sie würde wieder zugeschlagen haben, hätte nicht Diederich den Fuß in den Spalt gesetzt. Streng bedeutete er ihr, für ihr gemütloses Verhalten verdiene sie, daß sie selbst nie mehr einen Mann bekomme. Er erlaubte ihr nicht einmal, sich anzuziehen, sondern zerrte sie mit, wie sie war, in ihrer Matinee, mit aufgelösten Haaren. Im Flur entwand sie sich ihm. »Du machst uns lächerlich«, zischte sie — und noch vor ihm erschien sie bei den Verlobten, den Kopf sehr hoch, mit spöttisch musterndem Blick. »Mußte das so spät in der Nacht sein?« fragte sie. »Nun, dem Glücklichen schlägt keine Stunde.« Kienast sah sie an: sie war größer als Magda, ihr Gesicht, das jetzt Farbe hatte, sah voller aus in dem offenen Haar, das lang und stark war. Kienast behielt ihre Hand länger als nötig; sie entzog sie ihm, da wandte er sich von ihr zu Magda, mit sichtlichem Zweifel. Emmi ließ auf ihre Schwester ein Lächeln des Triumphes fallen, machte kehrt und verschwand, hoch aufgerichtet — indes Magda angstvoll nach Kienasts Arm griff. Aber Diederich kam, in der Hand ein gefülltes Punschglas, und verlangte, mit seinem neuen Schwager Bruderschaft zu trinken.
Am Morgen holte er ihn aus dem Hotel zum Frühschoppen ab. »Bis Mittag bezähme gefälligst deine Sehnsucht nach dem Weiblichen. Jetzt müssen wir mal ein Wort unter Männern reden.« In Klappschs Bierstube setzte er ihm die Lage auseinander: Fünfunddreißigtausend bar am Tage der Hochzeit — die Belege waren jeden Augenblick zu sehen — und, gemeinsam mit Emmi, ein Viertel der Fabrik. — »Also nur ein Achtel«, stellte Kienast fest; worauf Diederich: »Soll ich mich vielleicht umsonst für euch abrackern?« Ein unzufriedenes Schweigen entstand.
Diederich stellte die Stimmung wieder her. »Prost Friedrich!« — »Prost Diederich«, sagte Kienast. Dann schien Diederich etwas einzufallen. »Du hast es ja in der Hand, deinen Anteil am Geschäft zu erhöhen, wenn du Geld einlegst. Wie sieht es denn mit deinen Ersparnissen aus? Bei deinem großartigen Gehalt!« Kienast erklärte, im Prinzip sage er nicht nein. Aber noch laufe sein Vertrag mit Büschli & Cie. Auch habe er in diesem Jahr eine beträchtliche Gehaltserhöhung zu erwarten, da wäre es ein
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