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Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats

Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats

Titel: Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Engels
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entstanden, wird sie verschwinden, wenn diese Ursachen verschwinden? Man könnte nicht mit Unrecht antworten: sie wird so wenig verschwinden, daß sie vielmehr erst vollauf verwirklicht werden wird. Denn mit der Verwandlung der Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigenthum verschwindet auch die Lohnarbeit, das Proletariat, also auch die Notwendigkeit für eine gewisse – statistisch berechenbare – Zahl von Frauen, sich für Geld preiszugeben. Die Prostitution verschwindet, die Monogamie, statt unterzugehn, wird endlich eine Wirklichkeit – auch für die Männer.
    Die Lage der Männer wird also jedenfalls sehr verändert. Aber auch die der Frauen, aller Frauen, erfährt bedeutenden Wechsel. Mit dem Uebergang der Produktionsmittel in Gemeineigenthum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig, seien sie eheliche oder uneheliche. Damit fällt die Sorge weg wegen der »Folgen,« die heute das wesentlichste gesellschaftliche – moralische wie ökonomische – Moment bildet, das die rücksichtslose Hingabe eines Mädchens an den geliebten Mann verhindert. Wird das nicht Ursache genug sein zum allmäligen Aufkommen eines ungenirteren Geschlechtsverkehrs und damit auch einer laxeren öffentlichen Meinung von wegen jungfräulicher Ehre und weiblicher Schande? Und endlich, haben wir nicht gesehn, daß in der modernen Welt Monogamie und Prostitution zwar Gegensätze, aber untrennbare Gegensätze, Pole desselben Gesellschaftszustandes sind? Kann die Prostitution verschwinden, ohne die Monogamie mit sich in den Abgrund zu ziehn?
    Hier tritt ein neues Moment in Wirksamkeit, ein Moment, das zur Zeit, als die Monogamie sich ausbildete, höchstens im Keim bestand: die individuelle Geschlechtsliebe.
    Vor dem Mittelalter kann von individueller Geschlechtsliebe nicht die Rede sein. Daß persönliche Schönheit, vertrauter Umgang, gleichgestimmte Neigungen etc. bei Leuten verschiednen Geschlechts das Verlangen zu geschlechtlichem Verkehr erweckt haben, daß es den Männern wie den Frauen nicht total gleichgültig war, mit wem sie in dies intimste Verhältniß traten, das ist selbstredend. Aber von da bis zu unsrer Geschlechtsliebe ist noch unendlich weit. Im ganzen Alterthum werden die Ehen von den Eltern für die Betheiligten geschlossen, und diese finden sich ruhig hinein. Das Bischen eheliche Liebe, das das Alterthum kennt, ist nicht etwa subjektive Neigung, sondern objektive Pflicht, nicht Grund, sondern Korrelat der Ehe. Liebesverhältnisse im modernen Sinne kommen im Alterthum nur vor außerhalb der offiziellen Gesellschaft. Die Hirten, deren Liebesfreuden und Leiden Theokrit und Moschus uns besingen, der Daphnis und die Chloe des Longos, sind lauter Sklaven, die keinen Theil haben am Staat, der Lebenssphäre des freien Bürgers. Außer bei Sklaven aber finden wir Liebeshändel nur als Zersetzungsprodukte der untergehenden alten Welt, und mit Frauen, die ebenfalls außerhalb der offiziellen Gesellschaft stehn, mit Hetären, also mit Fremden oder Freigelassenen: in Athen vom Vorabend seines Untergangs an, in Rom zur Kaiserzeit. Kamen Liebeshändel wirklich vor zwischen freien Bürgern und Bürgerinnen, so nur von wegen des Ehebruchs. Und dem klassischen Liebesdichter des Alterthums, dem alten Anakreon, war die Geschlechtsliebe, in unserm Sinn, so sehr Wurst, daß ihm sogar das Geschlecht des geliebten Wesens Wurst war.
    Unsre Geschlechtsliebe unterscheidet sich wesentlich vom einfachen geschlechtlichen Verlangen, dem Eros, der Alten. Erstens setzt sie beim geliebten Wesen Gegenliebe voraus; die Frau steht insoweit dem Manne gleich, während sie beim antiken Eros keineswegs immer gefragt wird. Zweitens hat die Geschlechtsliebe einen Grad von Intensität und Dauer, der beiden Theilen Nichtbesitz und Trennung als ein hohes, wo nicht das höchste, Unglück erscheinen läßt; um sich gegenseitig besitzen zu können, spielen sie hohes Spiel, bis zum Einsatz des Lebens, was im Alterthum höchstens beim Ehebruch vorkam. Und endlich entsteht ein neuer sittlicher Maßstab für die Beurtheilung des geschlechtlichen Umgangs; man fragt nicht nur: war er ehelich oder außerehelich, sondern auch: entsprang er der Liebe und Gegenliebe oder nicht? Es versteht sich, daß es diesem neuen Maßstab in der feudalen

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