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Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats

Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats

Titel: Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Engels
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Ironie der Weltgeschichte ist unergründlich – war sie es, die die entscheidende Bresche in ihn legen mußte. Indem sie alle Dinge in Waaren verwandelte, löste sie alle überkommenen, altherkömmlichen Verhältnisse auf, setzte an die Stelle der ererbten Sitte, des historischen Rechts, den Kauf und Verkauf, den »freien« Vertrag; wie denn der englische Jurist H. S. Maine glaubte eine ungeheure Entdeckung gemacht zu haben, als er sagte, unser ganzer Fortschritt gegen frühere Epochen bestehe darin, daß wir gekommen seien from status to contract , von erblich überkommenen zu freiwillig kontrahirten Zuständen, was freilich schon im kommunistischen Manifest stand, soweit es richtig ist.
    Zum Vertragschließen gehören aber Leute, die frei über ihre Personen, Handlungen und Besitzthümer verfügen können, und die einander gleichberechtigt gegenüberstehn. Diese »freien« und »gleichen« Leute zu schaffen, war grade eine der Hauptarbeiten der kapitalistischen Produktion. Geschah dies auch im Anfang noch in nur halbbewußter, obendrein religiös verkleideter Weise, so stand doch von der lutherischen und kalvinischen Reformation an der Satz fest, daß der Mensch nur dann für seine Handlungen vollauf verantwortlich sei, wenn er sie in voller Freiheit des Willens begangen, und daß es sittliche Pflicht sei, Widerstand zu leisten gegen jeden Zwang zu unsittlicher That. Wie reimte sich dies aber mit der bisherigen Praxis der Eheschließung? Die Ehe war nach bürgerlicher Auffassung ein Vertrag, ein Rechtsgeschäft, und zwar das wichtigste von allen, weil es über Körper und Geist von zwei Menschen auf Lebenszeit Verfügung traf. Es wurde damals zwar formell freiwillig geschlossen; ohne das Jawort der Betheiligten ging es nicht. Aber man wußte nur zu gut wie das Jawort zu Stande kam und wer die eigentlichen Eheschließer waren. Wenn aber zu allen andern Verträgen wirkliche Freiheit der Entschließung gefordert wurde, warum nicht zu diesem? Hatten die zwei jungen Leute, die verkuppelt werden sollten, nicht auch das Recht über sich selbst, über ihren Leib und dessen Organe frei zu verfügen? War nicht die Geschlechtsliebe durch das Ritterthum in die Mode gekommen, und war, gegenüber der ritterlichen Ehebruchsliebe, nicht die Liebe der Ehegatten ihre richtige bürgerliche Form? Wenn es aber Pflicht der Eheleute einander zu lieben, war es nicht ebensosehr Pflicht der Liebenden einander zu heirathen und Niemand anders? Stand dies Recht der Liebenden nicht höher als das Recht der Eltern, Verwandten, und sonstigen hergebrachten Heirathsmakler und Ehekuppler? Brach das Recht der freien persönlichen Prüfung ungenirt in Kirche und Religion ein, wie sollte es stehn bleiben vor dem unerträglichen Anspruch der älteren Generation, über Leib, Seele, Vermögen, Glück und Unglück der jüngeren zu verfügen?
    Diese Fragen mußten aufgeworfen werden zu einer Zeit, die alle alten Bande der Gesellschaft auflockerte und alle ererbten Vorstellungen in's Wanken brachte. Die Welt war mit einem Schlage fast zehnmal größer geworden; statt eines Quadranten einer Halbkugel, lag jetzt die ganze Erdkugel vor dem Blick der Westeuropäer, die sich beeilten die andern sieben Quadranten in Besitz zu nehmen. Und wie die alten engen Heimathsschranken, so fielen auch die tausendjährigen Schranken der mittelalterlichen vorgeschriebnen Denkweise. Dem äußern wie dem innern Auge des Menschen öffnete sich ein unendlich weiterer Horizont. Was galt die Wohlmeinung der Ehrbarkeit, was das durch Geschlechter vererbte ehrsame Zunftprivilegium dem jungen Mann, den die Reichthümer Indiens, die Gold- und Silberminen Mexikos und Potosi's anlockten? Es war die fahrende Ritterzeit des Bürgerthums; sie hatte auch ihre Romantik und ihre Liebesschwärmerei, aber auf bürgerlichem Fuß und mit in letzter Instanz bürgerlichen Zielen.
    So geschah es, daß das aufkommende Bürgerthum, namentlich der protestantischen Länder, wo am meisten am Bestehenden gerüttelt wurde, auch für die Ehe die Freiheit der Vertragschließung mehr und mehr anerkannte und in der oben geschilderten Weise durchführte. Die Ehe blieb Klassenehe, aber innerhalb der Klasse wurde den Betheiligten ein gewisser Grad von Freiheit der Wahl zugestanden. Und auf dem Papier, in der moralischen Theorie wie in der poetischen Schilderung, stand nichts unerschütterlicher fest, als daß jede Ehe unsittlich, die nicht auf gegenseitiger Geschlechtsliebe und wirklich freier Uebereinkunft der

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