Der Utofant
Versuchsperson ein flaches, rundes Plastbonbon anheftet. Den Zeitwertprüfer, sagte Telefonia mit leicht verkratzter Stimme. Sie müssen den jetzt immer dranlassen, egal, wo Sie sich aufhalten. Nur so kann er durch seine Sensibilität die Leerlaufzeit ermitteln, die Sie zurückerstattet haben wollen; er merkt an Ihren physiologischen Prozessen, zum Beispiel am heraufgesetzten oder herabgesetzten Puls, wann Ihre Zeit leer läuft und ob Sie mit dem Leerlauf einverstanden sind oder sich unbewußt dagegen wehren. Der Mann, dem die Erfinderin den Zeitwertprüfer hinters Ohr heftet, blickt etwas starr. Es tut nicht weh, sagte Telefonia Bell. Sie ist zwei Köpfe größer als die Versuchsperson und nacktarmig und strahlend rosa. Sie muß sich zu dem Männlein runterbeugen.
Ein anderes Bild zeigt die Erfinderin an einer Zeit-Rückzahlungsbox. Sie setzt gerade einen Zeitwertprüfer in eine vorgeformte Rundung. Er muß genau einrasten, sagt sie. Wir hören einen leisen Knack. Und dieser Knack ist alles, was uns von der Erfindung selbst geblieben ist.
Doch gibt es einen Berg von Dokumenten, von Protokollen, Problemkarteien, Bruchstücken von Diskussionen, die durch das Time-Repaymentsystem heraufbeschworen wurden. Professor Temp, der nun seit fünfundsechzig Jahren in seinem Raumlabor Versuche durchführt, die Irreversibilität des Vorgangs ZEITVER- FLIESSEN aufzuheben, bezeichnet dieses Material als Medienmüll aus einer schwatzhaften Epoche. Er zuckt die Achseln über Telefonia Bell. Er wird uns auch nicht folgen, wenn wir die alten Zeitungsartikel aus den Silos ziehen und uns von halbzerfallenen Bandresten was krächzen lassen. Die Dokumentation, die wir ihm zur Begutachtung zufunken, wird er im besten Fall als ein akustisches beziehungsweise optisches Mittel gelten lassen, den Vorgang Zeitverfließen zu materialisieren. Doch leisten inhaltsfreie Tick- oder Tack-Geräusche und ein Vorüberleuchten von Wellen, Punkten, Zickzacklinien, außer sich selbst nichts darstellend oder gar bedeutend, Professor Temp den gleichen Dienst.
Aus Briefen an die Erfinderin
Ein Koordinationsmanipulator-Sachbearbeiter:
In meiner verantwortungsvollen Tätigkeit beim Koordinieren von Manipulatoren oder Manipulieren von Koordinatoren beobachte ich immer wieder, daß die landläufige Auffassung, Leerlaufzeit müsse Hand in Hand mit einem schläfrigen, schlaffen Zustand des Menschen, dessen Zeit leer läuft, gehen, nicht zutrifft. Gerade bei einer hohen Aktivität, Mobilität, Motorität besteht häufig gleichzeitig Leerlauf, was sich allerdings erst feststellen läßt, wenn die Koordinationsmanipulationsergebnisse vorliegen. So schlage ich zwecks Verbesserung des Systems vor, bei Anträgen auf Zeitrückerstattung nicht nur die physiologischen Messungen zugrunde zu legen, sondern auch Erhebungen darüber anzustellen, welche Ergebnisse in dem als Leerlaufzeit reklamierten Zeitraum erzielt wurden. Sind sie für die Gesellschaft positiv, so dürfte eine Rückerstattung nicht erfolgen. Eine Architektin im Ruhestand:
Richtig beurteilen kann man einen Wohnbehälter erst, wenn er mindestens hundert Jahre nicht nur ohne einzustürzen gestanden hat, sondern auch bewohnt wurde. Ich verweise auf die Wohnbehälterflucht der letzten Jahre, durch die das Lebenswerk so manches Architekten leer steht. Die Zeit, die er darauf verwandt hat, scheint also leer gelaufen. Könnte er sie zurückfordern? Ich meine auch, daß man am besten nach Fertigstellung und Erprobung eines Wohnbehälters oder auch eines Lebens kurz vor statistisch zu erwartendem Todeseintritt erkennen kann, wieviel Zeit leer gelaufen ist. Was nützt einem aber dann die Rückerstattung? Ein alter Mann, wie er selbst sagt, vom Schicksal umgetrieben: Schwer herauszubekommen, wann eine Zeit als leer gelaufen oder vertan bezeichnet werden kann. In vielen Fällen, und wenn ich recht verstehe, soll ja nur in solchen Fällen die Zeit zurückerstattet werden, liegt Fremdverschulden vor. Jemandes Zeit läuft unabhängig von dessen Willen leer. Gerade da beginnen die Vereinfachungen. Wenn einer zum Beispiel wie ich bei den Soldaten andauernd rennen, springen, kriechen, schießen mußte oder wenn er für irgend etwas wie wild geschuftet hat, was nachher nicht gebraucht wurde, vielleicht für ein Vernichtungsspezialgerät, dann kann man sagen, die Zeit des X. ist leer gelaufen, denn es ist gar kein Krieg gekommen, und er erhält die Zeit zurück.
Man könnte aber genauso sagen, gerade weil der X. so viel
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