Der Utofant
Hintergarten, der früher schon einmal ein Garten war, dann abgeholzt wurde und zum Gerümpelplatz entartete, nun aber wieder prächtig ins Kraut geschossen ist, und auf dem Hinterhof, im Erdgeschoß des Hinterhauses, wohnen die Klassiker der Haustiere: Schwein, Ziege, Schaf, Kaninchen, Ente, Gans, Pute, Taube, auch Hund und Katze selbstverständlich, und in zwei kleinen Teichen, die sich im Lauf der letzten Winter auf meinem Hof gebildet haben, sind Karpfen ansässig geworden. Auch die Gemüsefrage ist für uns gelöst, bald wird mit erstem Kernobst zu rechnen sein, ja, sogar Spargel – wissen Sie überhaupt, was das für ein Gewächs ist- werde ich nächstens ernten. Wir gehen aber auch im Stadtgelände Walderdbeeren, Blaubeeren, Himbeeren, Pilze sammeln.
Nach Ersatzteilen stehe ich nicht mehr, da laufe oder klettere ich (was sehr gesund ist), denn keine bessere Fundgrube für Schrauben, Muttern, Schalter und Elektronikelemente gibt es als die verlassenen Betriebe und Büros mit ihren teils defekten, teils nur etwas veralteten Maschinen. Ein Auto wäre für mich kein Problem, denn die Ersatzteilfrage ist nicht für zehn, sondern für hundert Jahre nicht vorhanden. Ich könnte nötige Teile aus den Vehikeln nehmen, die in den Fuhrparks und vor verlassenen Häusern stehen. Viele sind schon vom Grün umwuchert, mit einer Mooshülle bedeckt. Natürliche Garage, wetterfest. Ich fahre lieber Rad. Noch lieber geh’ ich barfuß auf den weichen Straßenwiesen und auf den grünen Moosbelägen.
Einige Autos, die Einwohnern gehörten, die hiergeblieben und gestorben sind, erfüllen die Funktion von Grabstätten. Der Tote sitzt wie zu seinen Lebzeiten am Steuer. Das Auto ist mit Erde zugeschüttet, prächtige Wiesenblumen und sogar Bäumchen wachsen drauf.
An sich könnten wir Auto fahren, Treibstoff liegt noch für viele Jahre da. Die Kinder versuchen es aus Spaß.
Im allgemeinen genügt uns aber die alte Straßenbahn, die jede Woche bis in unsere Gegend donnert. Die Leute haben Ersatzteile und Kleinmaschinen drin, die sie im Stadtgebiet geborgen haben, auch Selbstgebackenes, zum Beispiel Brot, das sie in große Huflattichblätter wickeln und in einem alten Ofen backen und das sehr saftig schmeckt. Sie bringen Geschlachtetes, Wurstsuppe, selbstgekochten Käse, Obstgelee, Konfitüre und, weil wir Bienen in der Stadt haben, auch Honig. Wir geben ihnen Wolle von unseren Schafen, meine Frau fertigt Hosen und Kindersachen. Ich schustere, mein Sohn macht elektronische Geräte ganz, und unser alter Sheriff von um die Ecke geht auf Jagd, so daß wir zu den winterlichen Festen die feinsten Wildschwein-Hirsch-Reh-Hasen-Braten haben. Nicht immer tauschen wir. Mit manchen Dingen helfen wir uns ohne Gegengabe aus. Die Stadt hat j a Reserven, von denen wir noch lange zehren können. Papier zum Beispiel lagert in gewaltigen Rollen im Druckhochhaus der ehemaligen Zeitung. Nein, eine Zeitung gibt es bei uns nicht, wir können uns ja mündlich mitteilen, daß wir einen Karnickelbock zum Springen ausleihen.
Aber Fernsehen besitzen wir, und manchmal hocken wir uns vor die Röhre, und dann genießen wir es, wie Ihr da draußen so durchgestreßt und hektisiert dahinlebt. Ansonsten haben wir die Bibliotheken, die Archive, denn längst nicht alles wurde abgefahren, als diese Institute die Stadt verließen. Das meiste liegt unregistriert herum.
Schulen gibt es hier nicht, wir unterrichten unsere Kinder selbst, indem wir sie bei allen unseren Tätigkeiten schon früh mitnehmen. Mein fünfjähriger Enkel, der mich beim Ausschlachten begleitet, kennt alle Teile eines Autos auswendig, und wie man Wurst macht, weiß er auch. Im Winter, wenn wir uns in die Wohnungen zurückziehen, erhalten unsere Kinder Unterricht im Rechnen, Schreiben, Lesen. Die größeren dürfen Streifzüge in die verlassenen Bibliotheken unternehmen. Sie malen auch, und keine freie Hauswand ist ihnen untersagt, so daß es bei uns bunt aussieht. Sie turnen, doch ohne für Olympia zu trainieren, denn Disziplinen wie Fassadenklettern und Sich-von-Ast-zu-Ast-Hangeln, Auf-allen-vieren-Laufen gibt es ja bei der Olympiade nicht. Im Sommer schwimmen sie in unseren Bächen und vollgeflossenen Kiesgruben, im Winter laufen sie Schlittschuh, bei Hochwasser staken sie auf selbstgebauten Flößen durch die Straßen.
Sie werden wissen wollen, mein lieber Freund, wie wir besonders winters mit unserer Energie auskommen, ob eine Stadtbeleuchtung existiert und womit wir die Heizung füttern. Die
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