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Der Utofant

Der Utofant

Titel: Der Utofant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna und Günter Braun
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von denen der Hauptbahnhofsvorplatz schwarz war, wiederholten, es sei die höchste Zeit.
    Und als Sie auf dem Bahnsteig standen, mit Sack und Pack, das Auto war schon aufgeladen, begriff ich nicht, warum Sie sich nicht umsahen. Sie drückten mir die Hand, doch aus dem Fenster beugten Sie sich nicht, und als ich Ihrem Zug ein Stück mit meinem Taschentuch nachlief, kindisch ein bißchen winkte, riefen Sie

    nur, ich würde auch noch diese Stadt verlassen.

    Sie haben in gewissem Sinne recht behalten, nicht nur die kosmosfeste Pumpenproduktion ist eingeschlafen, auch die Fabrikausrüstungen, die Mühlenwerke, die Laboratorien, die Spezialmobile, die unsere Stadt für den Export in außerirdische Gebiete baute, sind bald gefolgt. Sie waren, hieß es, zu bombastisch, zu schwer, zu energiegefräßig. So wurden unsere Firmen auf dem Weltmarkt abgehängt, die Hochschulen und Lehranstalten wanderten woandershin, die städtischen Theater und Visionspaläste schlössen, und endlich reduzierten sich die Warenhäuser auf eine einzige Kellerhalle. Fußball- und Schwimmwettkämpfe, für die doch unsere Stadt berühmt gewesen war, fanden hier nicht mehr statt. Es waren ja fast alle jüngeren Leute abgezogen, um anderswo kosmosfeste Pumpen, Armaturen und Anlagen zu bauen.
    In unserer Stadt ein Studium abzureißen, galt jetzt als unseriös. Was kann aus diesem Kaff schon kommen? Sogar die Rentner verließen unsere Stadt, um, wie sie sagten, sich wenigstens am Lebensabend nicht noch zu langweilen.
    Ich aber bin geblieben, und mögen Sie es glauben oder nicht, ich habe es noch nicht bereut.
    Als ich mit Ihnen an der Decertationsanlage arbeitete und ich in unserer Abteilung zu den Höchstverdienern zählte, ging’s mir, verglichen mit meiner heutigen Lage, hundeelend.
    Und sollte jemand auf die Frage, was es in unserer Stadt jetzt gibt, antworten: NISCHT, so muß ich dem entgegnen: Hier gibt’s jetzt ALLES. Aus unserer stolzen Millionenstadt ist allerdings ein Zweieinhalbfamilienort geworden, außer mir wohnt ein alter Straßenbahner mit Frau, Kindern und Enkelkindern hier, und unser alter Sheriff von um die Ecke ist geblieben. Ich habe Frau, Sohn, Töchter. Die andere Familie sehe ich nur selten; die Stadt ist eine ungeheure Busch- und Wiesenlandschaft mit Waldbildungstendenzen. Ehemalige Baustellen, Bauten, die nicht vollendet wurden, sind jetzt romantisch mit Grünzeug überwuchert, weichkonturierte Hügel, die man besteigen und in der Winterzeit berodeln kann. Die ehemaligen Warenhäuser sind von Efeu, Klematis, wildem Wein berankt.
    Die Keller-Einkaufshalle dient wilden Tieren als Unterschlupf. Unsere Stadt ist belebt von Rehen, Hirschen, Hasen, Wildschweinen, Luchsen, Bibern, Füchsen, auch Hamstern, Fröschen, Maulwürfen, Feldmäusen, Ratten, Wildhühnern. Die Bäche, die unsere Stadt sehr sauber und sehr klar durchfließen, etwa der früher fischlose Zentralkanal, der immer stank, enthalten Silberlachs und Schlei, an Wald- und Wiesenvögeln haben wir das volle Sortiment, begonnen bei der Nachtigall, dem Kuckuck und aufgehört beim Storch.
    Statt Straßen und steinbelegten Plätzen besitzen wir jetzt Wiesen mit kleinen Teichen.
    Von den Geräuschen der Tierwelt abgesehen, ist es still. Ganz selten, etwa einmal in der Woche, kommt eine Straßenbahn herangedonnert. Die Tiere stört das nicht, und ich weiß dann, daß die Familie des alten Straßenbahners unterwegs ist, um in der Nähe meines Wohnreviers zu halten und mit mir Tauschgeschäfte abzuwickeln.
    Die Läden sind fast alle hinter Schlingpflanzen eingeschlafen. Dringt man durch das Gerank, erblickt man drin geheimnisvolle alte Backöfen, Waagen, Fleischerkacheln. Manchmal liegt noch ein Messer, ein Beil, eine Schere da, die man gebrauchen kann. Sie fragen sich vielleicht, wie wir ohne die Läden existieren können. Ich frage Sie, wie existiert man mit Läden, in denen doch nicht die richtige Ware ist? Wie oft bin ich, wenn ich von der Decertationsanlage nach Hause trabte, vergebens in ein Dutzend Läden reingerannt, um einen kräftigen Happen guten Fleischs zu schnappen und Brot, das nicht schon schimmlig war, wie habe ich mir die Beine in den Bauch gestanden, um eine kleine Schraube für meine Fahrradlampe zugeteilt zu kriegen? Derartige Zeiten sind in unserer Stadt vorbei. Wir haben keine Läden, aber auch keine Bevölkerung! Anstehen ist nur möglich mit Bevölkerung. Mangel entsteht nicht durch vorhandene Läden. Am Mangel ist immer die Bevölkerung schuld.
    In meinem

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