Der Väter Fluch
Aber die Geräusche kamen nicht näher, sondern verklangen langsam.
Er sandte ein schnelles Gomel zum Himmel, ein Gebet, das man als Dank zur Errettung aus Gefahren sprach. Ein Stoßgebet, das er schon häufig gesprochen hatte... viel zu oft war es gerade noch mal gut gegangen. Wann würde ihn sein Glück endgültig verlassen? Denk jetzt nicht darüber nach.
Er wartete lange.
Schließlich richtete er sich auf und brach sofort in einen Hustenanfall aus - ein scheußliches, trockenes Bellen. Das Wasser stieg ihm in die Augen, Schleim tropfte aus der Nase, und Speichel kam aus seinem Mund. Den Revolver noch in der Hand, wischte er sich das Gesicht am Jackenärmel ab und leuchtete danach mit der Taschenlampe ins Dickicht. Doch da war nichts.
Dann ging er in die Richtung, in der er das Beutetier vermutete. Der Anblick rief das nackte Grauen in ihm hervor.
Die untere Hälfte des Gesichts war verschwunden, abgefressen bis auf den Schädelknochen, die Augenhöhlen und einige wenige Zahnstümpfe. Oben am Schädel konnte man noch immer das Haar erkennen - dichtes, braunes Kraushaar, das jetzt wie eine Clownsperücke aussah. Der Rumpf war bis auf die Rippen verschwunden, die Bauchhöhle völlig ausgeweidet, wodurch sich die Hüft- und Beinknochen vom Brustkorb gelöst hatten. Ein Bein war bis auf die Knochen abgefressen; nur der lange Oberschenkelknochen schien unversehrt. Das andere Bein, ein paar Zentimeter vom Rumpf entfernt, lag unberührt da - es war immer noch / in Jeansstoff gehüllt, und der Fuß steckte in einem Turnschuh. Der ganze Boden fühlte sich feucht und klebrig an, aber an den Überresten dessen, was einst ein menschlicher Körper gewesen war, fand sich kaum noch Blut. Die Katze hatte ihren Durst gründlich gestillt. Decker wich langsam zurück, die Nasenflügel aufgebläht vom Gestank des Urins.
Neben dem Berg aus Knochen, Fleisch und zerrissenem Stoff lag ein Haufen frischer Fäkalien, noch so warm, dass von ihm Dampf in die kühle Nachtluft aufstieg - ein grauenvoller Gestank. Decker drehte sich der Magen um. Er machte schnell ein paar Schritte nach rechts und übergab sich. Dann griff er zum Funkgerät und stellte die Verbindung zu Martinez her. »Ich hab ihn gefunden.«
»Wo?«, fragte der Detective. »Chef, wo steckst du? Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht's gut.« Decker atmete tief durch. »Ich kann meinen Standort nicht genau bestimmen... irgendwo nordöstlich der eigentlichen Suchabschnitte. Ich richte den Lichtstrahl meiner Lampe in die Luft und lasse ihn kreisen. Die Helikopter sollen danach suchen.«
»Brauchst du Verstärkung?«
»Nein. Er ist tot.«
»Tot?«
»Toter geht's nicht.«
»Soll ich das Einsatzteam rufen?«
»Nicht nötig. Ich brauche nur noch den Coroner. Sag dem Doc, er soll einen Leichensack mitbringen... die kleinste Größe reicht.
37
Er wusste nicht, was mehr schmerzte, seine Knochen oder sein Kopf, aber es spielte gar keine Rolle. Das einzige Schmerzmittel, das er zur Hand hatte, war ein Vivimed; damit würde er also auskommen müssen, obwohl die Schmerzen weit über das hinausgingen, was man ohne rezeptpflichtiges Mittel bekämpfen konnte. Decker fühlte sich schmutzig und müde. Außerdem war ihm schlecht, und ihm wäre nichts lieber gewesen, als sich unter seiner Bettdecke zu verkriechen. Aber auf seinem Schreibtisch stapelte sich der Papierkram, durch den er sich hindurcharbeiten musste. Er versuchte, die wichtigsten Daten herauszufinden. Doch er war zu müde zum Nachdenken.
Marge tauchte kurz nach sieben in seinem Büro auf. »Ich würde Vega gern zur Schule bringen.«
Decker hatte Mühe, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Es erschien ihm völlig verschwommen. »Gute Idee, mach das. Wir reden später. Oder auch erst morgen, wenn du willst.«
»Nein, ich bin gegen zwei wieder da. Bist du dann hier?«
»Ja, natürlich.«
Sie betrachtete seine geröteten, müden Augen. »Vielleicht wäre es besser, du würdest auch für eine Weile nach Hause fahren. Du siehst ziemlich fertig aus. Im Vergleich zu dir ist ein Penner gut gekleidet.«
Decker warf einen Blick auf seinen verknitterten Anzug. »Wenn der aus Leinen statt aus Schurwolle wäre, würd das jeder schick finden.«
»Aber das ist kein Leinen, Pete. Ehrlich gesagt glaub ich noch nicht mal, dass das Schurwolle ist.«
»Ein Wollmischgewebe. Jetzt entschuldige dich aber.«
»Tuuut mir Leid.« Marge zog einen Stuhl heran und setzte sich ihm gegenüber. »Ist das nicht eine Ironie des
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