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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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der Pistole bekam. Bemüht, keinen Verdacht zu erregen, inspizierte er Lüftungskanäle und Wandvorsprünge, fand aber keine geeignete Stelle. Der ganze Saal taugte nicht. Er ging über den mit Teppich ausgelegten Gang zurück in die Eingangshalle, wo ihm die in kleinen Nischen untergebrachten Feuerlöscher auffielen. Das war ein perfektes Versteck für eine Waffe, nur musste er eine Nische finden, die etwas abgelegener war. Er sah sich im Erdgeschoss um, dann stieg er hinauf in den ersten Stock.
    Er entdeckte einen Feuerlöscher in der Nähe der Herrentoilette, ganz hinten in einem dort endenden Gang. Perfekt. Er sah sich um, um sicherzugehen, dass niemand sonst da war, und öffnete die Glastür. Schnell bückte er sich, zog den Reißverschluss seiner Tasche auf und holte T-Shirt und Isolierband hervor. Noch ein schneller Blick, und er wickelte die Pistole aus dem T-Shirt. Da lag sie, auf dem blauen Stoff, geölt und voller Leben. Das Gefühl, das in ihm aufkam, war gewaltig. Er zog ein Stück Isolierband von der Rolle, biss in den Rand und schmeckte den bitteren Klebstoff. Drei Stücke heftete er auf die rechte Seite der Pistole und erhob sich. Immer noch war niemand zu sehen. Er griff in die Nische, drehte den schweren, roten Feuerlöscher und klebte die Pistole mitten auf die harte, gerundete Rückseite. Er fügte noch ein viertes Stück Klebeband hinzu, nur zur Sicherheit, und drehte den Feuerlöscher zurück in die alte Position, so dass von der Pistole und dem Isolierband nichts mehr zu sehen war. Vorsichtig schloss er die Glastür, bückte sich und zog den Reißverschluss seiner Tasche wieder zu. Als er sich aufrichtete, sah er eine junge Studentin oben an der Treppe. Sie war blass und unscheinbar. Er lächelte ihr zu.
    «Hallo, wie geht’s?», sagte er.
    Sie erwiderte sein Lächeln.
    «Gut», sagte sie. «Weißt du, wo die … Ich dachte, die Damentoilette wäre hier oben.»
    Sein Herz schlug ruhig und stetig.
    «Auf der anderen Seite», sagte er.
    Der Himmel draußen erschien ihm blauer. Das Gras grüner. Er fühlte sich wie ein Koch, der die Ofenuhr eingestellt hatte und darauf wartete, dass der Braten fertig wurde. Die Studentin oben an der Treppe hatte ihm nur bestätigt, dass er auf dem richtigen Weg war. Wäre sie ein paar Sekunden früher gekommen, hätte sie ihn mit der Pistole gesehen. Wäre sie ein paar Sekunden früher gekommen, wäre sie zurück nach unten gerannt und hätte Alarm geschlagen. Aber sie war gekommen, als er schon fertig war, und jetzt war die Pistole in Sicherheit, ein Küken kurz vor dem Schlüpfen.
    Er beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen. Es waren gute zwölf Kilometer, den Wilshire Boulevard hinunter, durch Westwood, Century City und Beverly Hills. Er war ein junger Mann, der während der nächsten vier Tage nichts zu tun hatte. Er warf die Tasche in einen Mülleimer und ging los Richtung Osten, kam an Apartment-Häusern mit Pförtner vorbei, an den Golfrasen des Los Angeles Country Club, am Beverly Hilton, dem Hotspot für Oscar-Partys und Power-Lunches, an den Bürotürmen von Beverly Hills und überquerte schließlich die verstopfte Verkehrsader des La Cienega Boulevard. Langsam fühlte er sich wie ein Hund auf einem Flughafen. Das Dröhnen der Autos, das Hupen und die Aggressivität bedrängten ihn. Er erreichte die Miracle Mile mit ihren Asphaltgruben, passierte die Highland Avenue und näherte sich Koreatown. In vier Stunden hatte er nur drei Fußgänger gesehen. Er war ein Flüchtling, ein Kamel in der Wüste. Die Pistole hielt ihn in Gang. Das graue, kreuzweise darübergeklebte Band. Der Gedanke, dass sie dort gleichsam vor aller Augen versteckt war. Er war eine Spinne, und das Klebeband war sein Netz.
    Die Sonne ging unter, golden, rosig, und ergab sich einem tiefen Dunkelblau. Und immer noch lief er weiter. Hunger und Durst hatte er hinter sich gelassen. Vor einem Monat noch hatte er in den Ausläufern der Sierras auf der Erde neben seinem Wagen geschlafen und war er mit dem Geschmack von Tau auf der Zunge aufgewacht. Jetzt war er ein Wolf in der Stadt, ein Wesen aus den Wäldern in einer Fabrik aus Lärm und Stahl.
    Die nächsten drei Tage vergingen in einem Nebel aus Hitze und Teer. Er wachte früh auf und machte seine Liegestütze und Sit-ups. Er saß hinten auf dem lila Pick-up, spürte den Wind auf dem Gesicht und sah die Sonne in der Häuserschlucht aufgehen, durch die sie fuhren. Der Chef selbst fuhr sie ins Valley zu einer neuen Baustelle. Dort herrschten

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