Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
Vom Netzwerk:
kennen die Wahrheit. Ihr Sohn ist schuldig. Das sollte Ihnen reichen.»
    «Nein, das reicht mir nicht.»
    «Was wollen Sie denn noch wissen? Warum er den Abzug gedrückt hat? Wollen Sie es verstehen? Was ihn dazu gebracht hat? Wer er wirklich ist, tief in seinem Inneren? Aber begreifen Sie denn nicht? Den Grund zu verstehen, heißt den Mord zu rechtfertigen. Sie suchen nach einer Erklärung, die Ihnen sagt, dass Ihr Sohn etwas Edles getan hat, und wenn nichts Edles, so doch zumindest etwas Nachvollziehbares. Aber das hat er nicht, und das müssen Sie akzeptieren. Sie werden ihn niemals verstehen.»
    Ich dachte darüber nach. Das Blut dröhnte mir in den Ohren. War es das, was ich versuchte? Die Tat meines Sohnes zu durchschauen, damit ich eine Rechtfertigung hatte? Um ihn zum Helden einer Geschichte zu machen, in der er in Wahrheit jedoch der Schurke war?
    «Warum sind Sie überhaupt hergekommen?», fragte ich.
    «Weil ich selbst einen Sohn hatte», sagte er, «einen, der an einer Möhre erstickt ist. Und weil es an der Zeit ist, es auf sich beruhen zu lassen.»
    Meine Knie waren so schwach. Ich verspürte das Bedürfnis, Hoopler zu packen und mich an ihm festzuklammern wie ein Boxer, der zu erschöpft ist, um sich auf den Beinen zu halten. Aber ich tat es nicht. Die Kluft zwischen uns war zu groß.
    «Ich wünsche Ihnen viel Glück», sagte er.
    Und damit ging er hinaus. Kalter Schrecken schnürte mir die Kehle zu. Er log. Er musste lügen. Das alles konnte nicht einfach nur Zufall sein. Drei Männer in einem Zug, vom Schicksal zusammengewürfelt. Ich eilte ihm nach und erspähte gerade noch seinen Rücken, während er auf den Ausgang zusteuerte. Verzweifelt sah ich mich um. Ein Mann in der Uniform eines Sicherheitsdienstes lehnte an einer Wand und redete in sein Handy, ich lief zu ihm.
    «Hören Sie», sagte ich. «Ich habe gerade … auf der Toilette … da war … Ich habe einen Mann in einer Hausmeisteruniform mit einer Waffe gesehen.»
    Der Wachmann steckte das Handy ein. Ich deutete zum Ausgang. Hoopler hatte die Treppe erreicht, die zur Gepäckausgabe hinunterführte.
    Der Wachmann holte sein Walkie-Talkie heraus und lief hinter Hoopler her. Ich folgte ihm. Ich schwitzte, mein Atem ging stoßweise. Etwas zu erklären heißt, es zu entschuldigen . Wir kamen an der Treppe an, als Hoopler die unterste Stufe erreicht hatte.
    Den Mörder zu verstehen, heißt den Mord zu rechtfertigen.
    Hoopler trennten noch zehn Schritte von der Freiheit, als drei weitere Sicherheitsleute auf ihn zustürzten. Mit gezogenen Waffen. Hoopler blieb stehen, hob die Hände und drehte sich um.
    Er war es nicht. Es war ein anderer, mittelalter Mann mit einem Bulldoggengesicht, der einen grauen Overall trug, das Gesicht vor Schreck ganz starr. Ein Hausmeister. Es war nur ein Hausmeister.
    Hoopler war verschwunden.
    Und in dem Moment akzeptierte ich es endlich.
    Daniel war schuldig.
    Hoopler hatte recht. Murray hatte recht. Fran hatte recht.
    Die Diagnose war klar, sie war immer schon klar gewesen.
    Ein Mann schmuggelt eine Pistole in einen Vortragssaal und tötet damit einen anderen Menschen. Es gibt Zeugen, Fotografien. Der Mann gesteht sein Verbrechen sogar.
    Die Symptome waren eindeutig. Das Fazit ebenso.
    Er war schuldig, genau wie ich.
    Ich war ein schlechter Vater gewesen, selbstbezogen, nachlässig. Ich hatte meinen Sohn meiner Karriere geopfert, hatte ihn verlassen und war auf die andere Seite des Landes gezogen. Ich hatte meine Bedürfnisse vor seine gestellt und ihn darunter leiden lassen.
    Es war an der Zeit, den Kampf aufzugeben und nicht weiter nach Hintertüren zu suchen.
    Mir blieb nur noch herauszufinden, wie ich damit leben konnte.

 
     
    14. Juni. Es war der Tag X , nur noch wenige Stunden fehlten bis zu seiner Tat. Carter war seit acht Tagen in Los Angeles. Jorges Cousin, Mexican Bob, hatte ihm einen Job besorgt: Dächer teeren. Fast eine Woche lang war Carter vor Sonnenaufgang aufgestanden und hatte sich wie ein Eisenbahnräuber im Wilden Westen ein Taschentuch vor den Mund gebunden. Zusammen mit all den anderen Migranten wartete er am Bordstein in East L.A. Um 5.45 Uhr kam ein lila Pick-up angefahren, und sie kletterten auf die Ladefläche. Wenn man genau hinhörte, konnte man das Heulen der Kojoten in den Bergen hören, das die Hunde in der Stadt aufhetzte. Er fühlte sich dem Ende jetzt sehr nahe, so wie man sich fühlt, wenn einem ein Wort, nach dem man lange gesucht hat, endlich auf die Zunge kommt. Am ersten

Weitere Kostenlose Bücher