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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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Jennings schien verschwunden. Schließlich war ihr Blick auf den Sarkophag gefallen, und sie hatte das Buch gesehen, das unter dem Deckel klemmte.
    Als sie das Klopfen hörte, fuhr Valerie Jennings hoch wie Dracula, der sich aus seinem Sarg erhebt. Schweigend kletterte sie hinaus und zog einen intensiven Zederngeruch hinter sich her, als sie an ihren Schreibtisch zurückkehrte, wo sie eine Packung Kuchen öffnete.
    Hebe Jones folgte ihr und setzte sich. »Ich habe gerade einen Fahrkartenkontrolleur gefragt, warum wir Arthur Catnip gar nicht mehr zu Gesicht bekommen, und er hat gesagt, dass er schon seit Ewigkeiten nicht mehr zur Arbeit erschienen sei. Und er hat auch nicht angerufen, um zu erklären, warum er nicht kommt. Irgendjemand ist zu ihm nach Hause gegangen, aber es hat niemand geöffnet, und auch sein Nachbar hat ihn nicht gesehen. Sie machen sich wirklich Sorgen um ihn.«
    Valerie Jennings blieb still.
    »Warum versuchst du nicht, ihn zu finden?«, schlug Hebe Jones vor.
    »Ich wüsste gar nicht, wo ich anfangen soll«, antwortete sie.
    »Wenn du nach fünf Jahren den Besitzer eines Safes finden kannst, dann wirst du wohl auch einen Fahrkartenkontrolleur finden.«
    Valerie Jennings schaute sie an. »Glaubst du wirklich, es ist ihm etwas passiert?«
    »Menschen verschwinden nicht einfach so, und er ganz besonders nicht. Er hat nicht einmal gerne Urlaub genommen. Warum rufst du nicht in den Krankenhäusern an?«
    »Vielleicht hatte er einfach seinen Job satt.«
    »All sein Zeug soll noch in seinem Schrank sein.«
    Wenig überzeugt griff Valerie Jennings zum Telefonbuch. Ein paar Minuten später legte sie den Hörer auf.
    »Und?«, fragte Hebe Jones.
    »Sie haben keinen Patienten, der so heißt.«
    »Versuch es beim nächsten. Bäume fällt man nicht mit einem Hieb.«
    Kaum eine halbe Stunde später schob Valerie Jennings einen herrenlosen Evening Standard beiseite und ließ sich schwer auf den Sitz im U-Bahn-Waggon fallen. Die Titelgeschichte über die wundersame Rückkehr des Bartschweins in den Londoner Zoo nach seiner Reise durch ganz Großbritannien beachtete sie gar nicht, sondern starrte blind vor sich hin, als der Zug sich in Bewegung setzte und aus der Station ratterte.
    Arthur Catnip lag in einem Vierbettzimmer und befand sich genau im erwarteten Zustand. Trotz seiner ausgeprägten Intuition hatte er, als er sie auf der blank gefegten Treppe des Hotels Splendid geküsst hatte, nicht im Mindesten damit gerechnet, dass er einen noch schlimmeren Herzinfarkt erleiden würde als beim ersten Mal, ein Versäumnis, das er später auf die Verwirrungen der Liebe zurückführen würde.
    Als er sie sah mit ihrem dunkelblauen Mantel, den verschmierten Brillengläsern und den flachen schwarzen Schuhen fingen sofort sämtliche Monitore zu piepsen an. Die Krankenschwestern konnten ihn schließlich beruhigen, riefen Valerie Jennings von ihrem Platz draußen auf dem Flur wieder herein und erlaubten ihr, sich dem Patienten zu nähern. Sie setzte sich auf die Bettkante, nahm seine kalten Hände in die ihren und sagte, dass er, wenn er entlassen werden würde, sich in ihrem Lehnstuhl mit der ausklappbaren Fußstütze erholen könne. Zur Unterhaltung würde sie ihm die gesammelten Werke von Miss E. Clutterbuck leihen, und damit er wieder zu Kräften komme, würde sie ihn, trotz der Gänse dort, zu Spaziergängen in den Park ausführen. Sollte er in den Ententeich fallen, würde sie ihn höchstpersönlich herausholen, egal, wie viele Haare er noch auf dem Kopf haben mochte. Wenn er sich dann vollständig erholt haben würde, könnten sie von der Belohnung für den Safe, den er vor fünf Jahren auf der Circle Line gefunden hatte, eine Kreuzfahrt machen, und dann könne er ihr die Insel zeigen, auf der er als Marinesoldat gestrandet war, nachdem er, volltrunken mit Cider, von Bord gegangen war.
    Als sie zu Ende geredet hatte, war die Wärme in Arthur Catnips Hände zurückgekehrt. Und als sie dann irgendwann das Zimmer verlassen wollte, öffnete er endlich die Augen und drehte ihr den Kopf zu. »Mir gefallen deine Schuhe«, sagte er.
    Hebe Jones öffnete die Schublade mit den einhundertsiebenundfünfzig Gebissen und legte ein weiteres, ordnungsgemäß mit einem Schildchen versehenes hinzu. Zurück an ihrem Schreibtisch, betrachtete sie noch einmal den Blumenstrauß von Reginald Perkins und dachte daran, dass seine Frau jetzt sicher und von der Sonne gewärmt zwischen ihren Narzissen ruhte. Gerade als sie die winzigen

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