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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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Gaoler‹ gestanden hatte. Er brach ein Stück ab und bot es der stummen Kreatur durch die Gitterstäbe hindurch an. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, hüpfte der Vogel durch seinen Käfig und schnappte dann flink wie ein Taschendieb zu. Sämtliche versammelten Beefeater drehten sich überrascht um, als er plötzlich einen ganzen Schwall verrückter Töne ausstieß, die sich in der langen Schweigeperiode in seiner Brust aufgestaut hatten. Und während alle auf den Vogel starrten, wandte Rev. Septimus Drew seine dunklen Augen der göttlichen Ruby Dore zu.
    Die Beefeater hatten nun Mühe, sich über den Lärm des gelben Radaumachers hinweg zu verständigen. Der Rabenmeister trank derweil seinen Tomatensaft aus. Trotz der Verlockungen der gut ausgestatteten Bar verzichtete er auf Alkohol, weil er bei klarem Verstand sein musste, wenn er nicht im Umgang mit seinen Geschöpfen ein Auge verlieren wollte.
    »Ich schau nur mal schnell nach den Vögeln«, sagte er zu seiner Frau und tätschelte ihr das Knie. Nachdem er ihr, sehr zur Verwunderung des Yeoman Gaoler, der zufällig in dem Moment in die Richtung blickte, von der Tür aus noch eine Kusshand zugeworfen hatte, setzte er seinen Hut auf und trat hinaus. Als einer der wenigen Beefeater, die sich keinen Vollbart hatten wachsen lassen, fror es ihn sofort im Gesicht. Gerade als er die Water Lane überqueren wollte, sah er Hebe Jones von der Arbeit nach Hause kommen. Trotz der Dunkelheit waren die Wölkchen vor ihrem Mund deutlich zu erkennen, als sie sich beeilte, der sadistischen Kälte möglichst schnell zu entfliehen.
    Er blieb im Hauseingang stehen und zog umständlich seine schwarzen Handschuhe an. Die Frau hatte kaum mehr ein Wort mit ihm geredet, seit einer der Raben Mrs. Cook um ihren Schwanz erleichtert hatte. Als gute Mutter hatte Hebe Jones ihrem Sohn bei der sinnlosen Suche nach dem abgetrennten Teil geholfen, denn Milo war fest davon überzeugt gewesen, dass man es wieder annähen könne, so wie den Finger, den Thanos Grammatikos, ein Cousin seiner Mutter, nach seiner unglückseligen Rückbesinnung auf die dunkle Kunst der Tischlerei verloren hatte. Viele Stunden lang durchsuchte der Sechsjährige den gesamten Tower, Hebe Jones auf allen vieren stets an seiner Seite. Gelegentlich hob er begeistert ein Stück Ast auf, nur um es nach näherer Betrachtung wieder fortzuwerfen. Irgendwann gelangte er zu dem Schluss, dass der Schwanz verschluckt worden sein musste, ein Schluss, den seine Eltern längst gezogen hatten, und so wurde die Suche schließlich eingestellt.
    In den folgenden Jahren mussten Balthazar und Hebe Jones dem Rabenmeister gegenüber an zivilen Umgangsformen festhalten, weil sich ihre Kinder angefreundet hatten. Es begann, als Charlotte, die acht Monate älter war als Milo, eines Morgens zum Salt Tower kam und behauptete, sie habe einen neuen Schwanz für Mrs. Cook gefunden. Hebe Jones bat sie herein und stieg hinter ihr die Wendeltreppe hoch. Mit angehaltenem Atem saß die Familie auf dem Sofa, als das Mädchen langsam seine geballte Faust öffnete. Während die Eltern den Zipfel einer Pastinake umgehend als solchen erkannten, geriet Milo vollkommen aus dem Häuschen. Sofort machten sich die Kinder auf die Suche nach Mrs. Cook, die sie schließlich im Badezimmer fanden, legten sich neben sie und versuchten auszutüfteln, wie man das Teil befestigen könne. So kam es, dass die älteste Schildkröte der Welt mit Hilfe eines grünen Bindfadens den mittlerweile bräunlichen Zipfel eines Wurzelgemüses hinter sich herzog, bis Balthazar Jones das Ganze entdeckte und dem unwürdigen Schauspiel ein Ende bereitete.
    Als Hebe Jones vorbeiging, berührte der Rabenmeister seinen Hut. Sie nickte steif zurück, die Nase rot vor Kälte. Sobald sie außer Sichtweite war, wartete er noch ein paar Minuten, bis er ganz sicher sein konnte, dass sie am Salt Tower angekommen war, dann begab er sich zu den hölzernen Vogelgehegen am Wakefield Tower, die wegen der Wolken vor dem Mond kaum zu erkennen waren. Nachdem er kurz zur geschlossenen Tür hinübergeschaut hatte, ging er allerdings weiter und strich sich in Vorfreude auf das, was ihn erwartete, über den taubengrauen Schnurrbart. Am Brick Tower blickte er sich schnell um und tastete nach dem riesigen Schlüssel, den er im Büro unauffällig in die Tasche hatte gleiten lassen.
    Als das Schloss beim Öffnen ein lautes Geräusch von sich gab, stieß er einen erstickten Fluch aus und schaute sich erneut um. Dann

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