Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
stammte aus einem Text, den mir Federo in der Nacht zuvor vorgelesen hatte. Es war ein episches Gedicht über eine Schlacht gewesen, in der hauptsächlich farbenprächtige Uniformen miteinander zu wetteifern schienen.
»Einen Beutel mit spitzen, scharfen Abfallstücken möchte die Kleine also.« Er musterte mich eingehend mit einem schlauen Grinsen. »Dass du mir keine Kanone damit lädst oder ähnlich dummes Zeug machst.«
»Nein, Sir«, sagte ich ruhig.
Mit dem Hammer in der Faust beugte er sich zu mir herab. »Nenn mich nicht Sir, Kleine. Du willst Eisen, du sollst Eisen haben.«
Später stahl ich eine Zange vom Gehilfen des Zimmermanns, um die Nägel und Eisenstücke zu biegen. Auf diese Weise begann ich, Metallstücke an meinem Popelin zu befestigen. Sie dienten als Ersatz für die Glöckchen und die Seide meiner Heimat. Wann immer Federo mit dem Kapitän speiste oder spät in der Nacht tief und fest schlief, nutzte ich die Gelegenheit zum Nähen. Ich stellte mir vor, dass die Glocken, welche den Männern der Wache die Stunden läuteten, die von Ausdauer waren, während er mich beschützte, und das Zischen des Dampfes unter dem Deck war für mich der Atem der großen Lungen des Ochsen.
Solcherart zählte ich die Tage meiner Reise über das ruhige, sonnengleißende Wasser des Sturmmeeres und lernte alles, was mein Entführer mir zeigte. Die Nächte verbrachte ich mit Nadel und Faden in der Erinnerung an ein Zuhause, das in meinem Gedächtnis bereits unendlich fern und dunkel geworden war.
Wir packten unsere Sachen zusammen, als die Schicksalsvogel auf die Steinküste zusteuerte. Um genau zu sein, packten wir hauptsächlich Federos Sachen. Ich besaß nichts außer den Baumwollkleidchen, die er mir gegeben hatte, und mein Stück Stoff, das zusammen mit dem gestohlenen Werkzeug unter meiner Bettstatt versteckt war.
Das Problem, wie ich das an Land schmuggeln sollte, war schier unüberwindlich. Die einzige Möglichkeit, die ich sah, bestand darin, es irgendwie in Federos Beuteln unterzubringen und es später wieder unbemerkt herauszuholen. Doch er ließ mich an diesem Tag nicht aus den Augen. Ich nehme an, er fürchtete, dass ich wieder über die Reling springen könnte. Daran dachte ich gar nicht, denn wie sollte ich von Copper Downs zu Fuß nach Hause gelangen? Aber er traute mir nicht.
Ich versuchte schließlich, den Stoff unter mein Kleid zu stopfen, während er abgelenkt war, aber das bauschte es so stark über dem Bauch, dass es nicht zu übersehen wäre. So ließ ich ihn rasch unter das Bett fallen, als sich Federo umwandte. Das Klirren machte ihn neugierig.
»Was hast du da?«, fragte er in jenem bedächtigen, freundlichen Ton, der bedeutete, dass er wusste, dass ich etwas vorhatte, mit dem er nicht einverstanden sein würde.
»Nur Zeug.« Die Lüge, die der Wahrheit am nächsten kommt, ist auch die beste, hatte ich aus einem seiner Bücher erfahren. »Ich habe ein paar kleine Eisensoldaten als Spielzeug in Stoff eingewickelt.«
Ein seltsamer Ausdruck trat in sein Gesicht. »Ich habe nie gesehen, dass du spielst, Mädchen.«
»Ich tue das nur, wenn du nicht da bist«, erwiderte ich.
Er beugte sich hinab und schaute unter mein Bett. Es juckte mich, ihn in den Nacken zu treten oder in die Kniekehle, aber ich beherrschte mich. Wozu auch? Ich konnte nicht ohne Hilfe entkommen. Ich hätte über das Meer schwimmen müssen.
»Lass mich sehen.« Er zog den zusammengerollten Stoff hervor. Als das Bündel aufging, fielen Zange und Nadeln und Faden und Eisenstücke auf den Boden. Federo schüttelte den Stoff. Nichts klingelte, denn es gab keine richtigen Glöckchen, aber die angenähten Eisenstücke klirrten. »Ah.«
Ich hielt seinem langen, bedächtigen Blick stand.
»Dafür sollte ich dich grün und blau schlagen«, sagte er schließlich. »Und ich sollte dir den Mund mit diesen Eisenstücken stopfen. Aber du bist kein dummes Ding, das man mit Gewalt oder mit Furcht einschüchtern kann.« Er rollte alles wieder zusammen. »Hör mir gut zu, Mädchen. Vergiss die Glocken deiner Seide. Wo du jetzt hingehst, ist die Rückbesinnung auf das Land und den Ort deiner Geburt fast das schlimmste Vergehen. Deine Reise geht vorwärts, nicht zurück.«
Trotziger Widerstand keimte in mir auf wie Blumen unter dem Frühlingsregen. »Meine Füße haben diesen Weg nicht gewählt.«
»Nein.« Seine Stimme klang traurig. »Dennoch ist es dein Weg. Du kannst nicht ungeschehen machen, was geschehen ist. Du kannst dich
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