Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
dass Federo mich mir geraubt hat, ohne mein Einverständnis oder mein Wissen. Er hatte mich im Verlauf der Reise umgeformt, stetig und zielsicher. Durch seinen Einfluss habe ich mir selbst auf eine Weise geschadet, die ich damals nicht verstehen konnte.
Federo hielt mich mit festem Griff, doch mehr um mir Sicherheit zu geben, denn aus Angst, ich könnte fliehen. Die Menge an Deck begann, auf den Kai zu strömen, und vom Kai aus drängten viele aufs Schiff. Der Lärm war gewaltig. Schiffsoffiziere drohten mit Stöcken und Klingen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, sonst wäre die Schicksalsvogel wohl überrannt worden. Doch es schien eher ein eingespieltes Getümmel und kein wirkliches Handgemenge zu sein, so als erwartete man von der Menge auf dem Kai, dass sie vorwärtsdrängte, und von der Schiffsbesatzung den Widerstand, den sie leisteten. Ein Tanz in fünfhundert Variationen zwischen Menschen und Lasten und bockigen Mauleseln.
Federo beugte sich herab und rief etwas in mein Ohr, das ich in dem Lärm nicht hören konnte. Ich nickte, als ob ich es verstanden hätte. Der Griff an meiner Schulter lockerte sich ein wenig.
Schon bald löste sich das Chaos in eine systematische Ebbe und Flut von Leibern auf. Alle Rufer hatten ihre Zuhörer. Alle an Deck wussten, wonach sie Ausschau hielten. Gerätschaften wurden abgebaut und rasch verstaut, die Laderaumluken öffneten sich, Matrosen erhielten ihren Sold und gingen in den Landurlaub. Alles geschah gleichzeitig. Federo entdeckte seine Kontaktperson mitten im Gewühl.
»Komm!«, rief er.
Wir waren von Seeleuten umgeben, die Federos Gepäck trugen und mit Fäusten und Muskelkraft einen Weg durch die Menge zu einem Kastenwagen bahnten, der auf dem Pflaster am Ende des Kais auf uns wartete. Seine Wände waren tiefrot und glänzend, mit goldenen Verzierungen und einem kleinen schwarzen Muster auf der Tür. Die großen Räder in derselben Farbe waren mit Eisen beschlagen. Vor dem Gefährt stampften unruhig zwei kraftvolle schwarze Tiere mit wilden Augen, ruhelosen Schwänzen und wallendem Haar in ihren anmutigen Nacken unter den wachsamen Augen eines Mannes auf einer Sitzbank.
Federo öffnete die Wagentür und schob mich ins Innere. Dann schloss er sie und rief den Männern Anordnungen für das Verstauen seines Gepäcks zu. Mehrere kleine Fenster ließen Licht herein, aber der Wagen war so hoch, dass ich nur Dächer und den Himmel und kreisende Vögel sah. Ich saß auf einer Lederbank, und ich kann sagen, dass ich in meinem Leben bisher noch nie auf etwas Weicherem saß. Nutzlose kleine Knöpfe waren tief in den Sitz eingenäht, auf eine ganz andere Weise, als ich meine zweimal verlorenen Glöckchen befestigt hatte. Ich zupfte daran und konnte das Öl riechen, mit dem jemand den Innenraum poliert hatte – es roch nach Zitrone und dem Saft einer Pflanze, die ich nicht kannte.
Federo nahm meine Hand mit festem Griff. »Wir sind fast da, Mädchen.«
»Ich habe einen Namen«, erwiderte ich mürrisch. Ich musste ihn damals noch gewusst haben.
Seine Stimme wurde hart. »Nein, hast du nicht. Nicht hier. Er ist mit deinen Glocken verschwunden. Vorwärts, immer vorwärts.«
Wie als Antwort auf diese Worte setzte sich das Gefährt in Bewegung. Ich hörte die Peitsche des Kutschers knallen, hörte die Pfiffe und Rufe, mit denen er sein Gespann antrieb, und seine Flüche auf die anderen Reisenden. Trotz der Annehmlichkeit des Sitzes war die Fahrt holpriger als die der Schicksalsvogel selbst bei rauem Seegang. Zwar hatte mir Federo von gepflasterten Straßen erzählt, doch das war etwas völlig Neues für mich, ebenso wie diese schreckliche Fahrt.
Ich starrte auf die vorbeifliegenden Dächer und fragte mich, ob ich nicht doch besser in den Hafen gesprungen wäre.
Wir holperten an hell bemalten Säulen und glänzenden Dächern vorbei, einmal auch an einem Baum aus Kupfer und Messing, dessen Äste über die Straße hingen. Ich wusste, wenn ich mich aufrichtete und nach draußen blickte, würde ich Wunder über Wunder sehen. Später wünschte ich mir sehr, dass ich es getan hätte, doch in diesem Augenblick wollte ich nur nach Hause.
Der Wagen rollte durch ein großes Tor, dann durch ein kleineres, und hielt schließlich quietschend an. Durch die Fenster konnte ich Mauern ringsum sehen. An einer Seite erhob sich ein mächtiges Gebäude, an das die Mauern anschlossen. Mauern und Bauwerk bestanden aus einem hellblauen Stein, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Mein ganzes Dorf
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