Der verbotene Ort
abzusenden, diesmal hatte Paole ihn dabei erwischt. Der Mann ließ die Klinge eines Messers herausspringen, fasste Zerks rechte Hand und begann tiefe Schnittwunden in sie einzuritzen, gewissenhaft und ohne Eile, als zerteilte er einen Fisch, die Schreie des Jungen schien er nicht zu hören.
»Das wird dich lehren, es nicht noch einmal zu versuchen. An wen?«
»An Adamsberg«, wimmerte Zerk.
»Jämmerlich«, sagte Paole. »Der Sohn zermalmt den Vater nicht mehr, er ruft ihn beim ersten Kratzer zu Hilfe. Por, Qos. Was versuchtest du ihm zu sagen?«
»SOS. Aber ich hab’s nicht geschafft, er wird es nicht verstehen. Lassen Sie mich frei, ich verrate nichts, ich werde nichts sagen, ich weiß nichts.«
»Aber ich brauche dich, mein Junge. Begreifst du nicht, die Polente ist noch viel zu weit weg. Ich werde dich hierlassen, so wie du da sitzt, gekreuzigt auf deinem Sessel, selbstverstümmelt, gestorben am Ort deines Verbrechens, und das war’s. Ich habe noch einiges zu tun und brauche meine Ruhe.«
»Ich auch«, keuchte Zerk.
»Du?«, sagte Paole und schaltete Zerks Handy aus. »Was hast du denn zu tun? Deinen Glitzerkram herstellen? Singen? Essen? Aber darauf pfeift doch alle Welt, mein Junge. Du bist zu nichts und für niemanden nütze. Deine Mutter ist fort, und dein Vater will nichts von dir wissen. Wenigstens hast du dann aus deinem Sterben etwas gemacht. Du wirst berühmt werden.«
»Ich werde nichts sagen. Ich gehe weit weg. Adamsberg wird es nicht kapieren.«
Paole zuckte die Schultern.
»Klar, dass er nicht kapieren wird. Ein Armleuchter wie du, Schaumschläger, wie der Vater so der Sohn. Auf jeden Fall kommt dein Anruf ein bisschen spät. Er ist nämlich tot.«
»Das ist nicht wahr«, sagte Zerk und bäumte sich auf.
Paole drückte gegen den Griff des Messers in Zerks Hand und ließ die Klinge in der Wunde federn.
»Beruhige dich. Toter kann einer nicht sein. Eingemauert in der Gruft der Opfer von Plogojowitz, in Kiseljevo in Serbien. Du siehst, dass er nicht so bald zurückkommen wird.«
Paole sprach dann mit leiserer Stimme zu sich selbst, während aus Zerks Gesicht der letzte Schimmer von Hoffnung wich.
»Aber du zwingst mich, die Dinge zu beschleunigen. Sollten sie seinen Körper am Ende finden, haben sie sein Telefon. In dem Fall lesen sie deine Nachricht, sie kriegen den Absender raus und orten dich. Orten uns beide. Wir haben vielleicht weniger Zeit als angenommen, geh in dich, mein Junge, nimm Abschied.«
Paole war vom Sessel zurückgetreten, aber noch stand er zu nahe bei Zerk. In der Zeit, in der Adamsberg die Tür öffnen und auf ihn anlegen würde, hätte Paole vier Sekunden Vorsprung gewonnen, um auf Zerk zu schießen. Er musste etwas finden, um seine Aufmerksamkeit vier Sekunden lang abzulenken. Adamsberg zog sein Notizbuch hervor, ließ alle Papiere herausfallen, die er in wilder Unordnung dort immer hineinschob. Das Blatt, das er suchte, war zerknittert und schmutzig, aber lesbar, seine Abschrift des Textes, der auf dem Grabstein von Plogojowitz gestanden hatte. Er nahm sein Handy, tippte hastig die Nachricht ein: Dobro veče, Proklet – Sei g egrüßt, Verfluchter. Unterschrift: Plogojowitz. Nicht gerade brillant, was Besseres fiel ihm nicht ein. Aber es würde den Mann für einen Augenblick stutzig machen, gerade so lange, dass er den Raum betreten und sich zwischen ihn und Zerk stellen konnte.
Das Gerät klingelte in Paoles Hosentasche. Der Mann sah auf das Display, furchte die Augenbrauen, die Tür wurde heftig aufgestoßen. Adamsberg stand ihm gegenüber, den jungen Mann deckend. Paole machte nur eine leichte Kopfbewegung, als wenn das Erscheinen des Kommissars lediglich eine Posse wäre.
»Waren Sie das, Kommissar, der sich mit so was amüsiert?«, sagte Paole, auf das Display zeigend. »Man sagt nicht Dobro veče zu dieser Nachtzeit. Jetzt sagt man Laku noć. «
Die verächtliche Sorglosigkeit von Paole verunsicherte Adamsberg. Weder überrascht noch beunruhigt, obwohl er ihn doch tot in der Gruft wähnte, schenkte er seiner Anwesenheit keinerlei Beachtung. Als wäre er nicht störender als ein Büschel Gras auf der Straße. Die Waffe auf Paole gerichtet, streckte Adamsberg seinen anderen Arm nach hinten und riss das Messer aus der Sessellehne.
»Lauf, Zerk! Schnell!«
Zerk sprang auf, die Tür schlug hinter ihm zu, seine Schritte hallten durch den Korridor.
»Wie rührend«, sagte Paole. »Und jetzt, Adamsberg? Jetzt stehen wir uns also gegenüber, und beide mit
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