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Der verbotene Ort

Titel: Der verbotene Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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jemals ungeduldig wurde. Er warf einen Blick auf Adamsberg, der mit geschlossenen Augen dasaß. Er wusste, dass der Kommissar nicht schlief und ihn sehr wohl hörte.
    »Warum willst du das wissen?«, fuhr er fort. »Diese Füße gehören Radstock. Und jetzt befinden sie sich auf der anderen Seite des Meeres.«
    »Sie haben gesagt, es könnte eine Opfergabe sein. Für wen? Hat Highgate einen Besitzer?«
    »In gewisser Weise schon. Es hat einen Gebieter.«
    »Und wie heißt er?«
    »Die Entität«, antwortete Danglard mit einem Schmunzeln.
    »Seit wann?«
    »Der alte Teil des Friedhofs, der Westteil, vor dem du vorgestern gestanden hast, wurde 1839 eröffnet. Aber auch dir wird einleuchten, dass der Gebieter dort schon viel früher gewohnt haben kann.«
    »Ja.«
    »Viele sagen, eben weil die Entität schon vorher dort lebte, in der alten Kapelle auf der Anhöhe von Hampstead Heath, wurde der Ort zwangsläufig für die Einrichtung eines Friedhofs gewählt.«
    »Ist es eine Frau?«
    »Ein Mann. Mehr oder weniger. Und man sagt, es wäre seine Macht gewesen, die die Toten und den Friedhof angezogen hätte. Verstehst du?«
    »Ja.«
    »Man beerdigt seit langem nicht mehr in diesem Westteil, es ist ein historischer Ort geworden, und weltbekannt. Es gibt ganz außergewöhnliche Grabmäler dort, Merkwürdigkeiten aller Art, und sehr berühmte Tote. Charles Dickens und Marx, zum Beispiel.«
    Ein Schatten des Unbehagens ging über das Gesicht des Brigadiers. Estalère versuchte seine Unwissenheit nie zu verbergen, auch nicht die sehr große Sorge, die sie ihm bereitete.
    »Karl Marx«, präzisierte Danglard. »Er hat ein bedeutendes Buch geschrieben. Über den Klassenkampf, die Ökonomie, all diese Sachen. Daraus ist dann der Kommunismus entstanden.«
    »Ja«, registrierte Estalère. »Aber hat das was mit dem Besitzer von Hampstead zu tun?«
    »Sag lieber ›dem Meisten, so ist es üblich. Nein, Marx hat nichts mit ihm zu tun. Ich habe ihn nur genannt, um dir zu erklären, dass Highgate West in der ganzen Welt bekannt ist. Und sehr gefürchtet.«
    »Ja, denn auch Radstock hatte Angst. Warum?«
    Danglard zögerte. Wo sollte er anfangen mit dieser Geschichte? Und sollte er überhaupt?
    »An einem Abend vor fast vierzig Jahren«, sagte er, »im Jahr 1970, waren zwei junge Mädchen auf dem Heimweg von der Schule und nahmen eine Abkürzung über den Friedhof. Atemlos und vollkommen verstört kamen sie zu Hause an, sie waren von einer schwarzen Silhouette verfolgt worden und hatten Tote aus ihren Gräbern steigen sehen. Eines der Mädchen wurde krank und fortan zur Schlafwandlerin. Während ihrer Anfälle lief sie zum Friedhof und begab sich immer zu derselben Gruft. Zur Gruft des Meisters, so sagte man damals, des Meisters, der sie rief. Man lauerte ihr auf, man ging ihr nach und fand an dem Ort Dutzende von ausgebluteten Tierkadavern. Die Nachbarschaft bekam es mit der Angst zu tun, der Lärm schwoll an, die Zeitungen stürzten sich auf das Phänomen, eine Hysterie brach aus. Neben anderen Erleuchteten begab sich auch ein Exorzistenpriester an die Stätte, um den Geist des ›Meisters von Highgate‹ auszutreiben. Sie drangen in die Gruft ein und stießen auf einen Sarg ohne Namen, der anders dastand als die übrigen. Sie öffneten ihn. Was nun kommt, ahnst du.«
    »Nein.«
    »Es lag ein Körper im Sarg, aber es war weder der Körper eines Lebenden noch der eines Toten. Er lag da und war vollkommen konserviert. Es war ein Mann, ein namenloser Unbekannter. Der Erleuchtete zögerte, ihm das Herz mit dem Pfahl zu durchbohren, denn die Kirche untersagt es.«
    »Warum wollte er es durchbohren?«
    »Estalère, du weißt nicht, wie man Vampire unschädlich macht?«
    »Ach so«, sagte der junge Mann bedächtig, »es war ein Vampir.«
    Danglard seufzte und wischte über die beschlagene Fensterscheibe.
    »Das dachten zumindest die Erleuchteten, und deshalb waren sie auch mit Kruzifixen, Knoblauch und Pfählen gekommen. Vor dem offenen Sarg sprach der Erleuchtete die Beschwörungsformel: Tritt hervor, heimtückisches Wesen, Träger aller Übel und aller Falschheiten. Entweiche von diesem Ort, verruchte Kreatur. «
    Adamsberg schlug die Augen auf, hellwach.
    »Sie kennen die Geschichte?«, fragte Danglard etwas feindselig.
    »Nicht diese, aber andere. Und in diesem Augenblick hören die Versammelten ein gewaltiges Grollen, einen unmenschlichen Lärm.«
    »Genau das geschah. Ein grauenhaftes Stöhnen hallte in der Gruft wider. Der Erleuchtete

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