Verfuehrung auf Italienisch
1. KAPITEL
In Rom war es unerträglich heiß gewesen, mit flirrender Luft und gleißendem Sonnenschein, aber als Clare jetzt weiter Richtung Norden fuhr, konnte sie dunkle Wolken über dem Apenin hängen sehen, und in der Ferne hörte sie rollenden Donner. Von einem Gewitter ins nächste, dachte sie mit galligem Humor und griff das Steuer des gemieteten Fiats fester, als sie eine enge Kurve nehmen musste.
Das erste Gewitter war allerdings menschlicher Machart gewesen und hatte ihren Drei-Monats-Vertrag als Englischlehrerin bei einer reichen italienischen Familie mit einer vorzeitigen, nämlich fristlosen Kündigung beendet.
Und das alles nur, weil der Hausherr seine Finger nicht hatte bei sich halten können.
"Sie trifft keine Schuld", hatte Signora Dorelli, eine makellose Erscheinung in grauer Seide und Perlenkette, mit stahlharten Augen gesagt.
"Ich laste Ihnen das Verhalten meines Mannes nicht an. Sie haben sich sehr anständig benommen. Aber ich hätte es besser wissen müssen, statt eine junge, attraktive Frau ins Haus zu bringen. Immerhin haben Sie ihm gezeigt, dass er nicht der unwiderstehliche Adonis ist, für den er sich hält. Trotzdem werden Sie unser Haus verlassen müssen. Und der nächste Englischtutor wird mit Sicherheit männlichen Geschlechts sein."
Also hatte Clare ihre Koffer gepackt, sich von den Kindern verabschiedet, die sie ins Herz geschlossen hatte, und wortlos ihr Honorar für die gesamten drei Monate zusätzlich eines ansehnlichen Bonus’ von einem sehr schweigsamen Signore Dorelli entgegengenommen.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, dachte Clare, hätte er mich ohne eine Lira vor die Tür gesetzt. Glücklicherweise hatte seine Frau da andere Vorstellungen gehabt. Und nach Signora Dorellis Miene zu urteilen, würde der elegante Signore Dorelli auch noch auf andere Art und Weise für seinen Fauxpas zahlen müssen.
Er hat es verdient, sagte sich Clare. Die letzten zehn Tage waren unerträglich gewesen.
Ständig hatte sie seine Annäherungsversuche abwehren müssen, war ständig darauf bedacht gewesen, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber selbst in der großen Villa war das nicht immer möglich gewesen, und mit Schaudern dachte sie daran, wie er sie mehrere Male bedrängt hatte, wenn sie ihm zufällig allein begegnet war. Weder ihre abwehrende Haltung noch die schrill vorgetragenen Anschuldigungen seiner Frau hatten ihn davon abbringen können.
Heute Morgen war er dann endgültig zu weit gegangen. Er hatte sie allein im Frühstückszimmer überrascht und nicht nur versucht, sie zu küssen, sondern hatte seine Hand auch unter ihren Rock gleiten lassen. Und da hatte Clare ihm den heißen Inhalt ihrer Kaffeetasse ins Gesicht geschüttet, genau in dem Moment, als die Signora ins Zimmer trat.
Das war also der Grund, weshalb sie sich jetzt, frei wie ein Vogel, auf dem Weg nach Umbrien befand. Ihre Vernunft hatte dafür plädiert, nach England zurückzukehren, sich bei der Agentur zu melden und einen neuen Posten anzunehmen. Das würde sie auch tun _ nach ihrem Besuch bei Violetta. Bei dem Gedanken an ihre Patentante lächelte Clare. Sie war die Verkörperung der weiblichen Eleganz, mit grazilen Gesten, teurer Garderobe und unauffälligem Schmuck, der allerdings ein Vermögen kostete. Eine reiche Witwe, die nie wieder in Versuchung gekommen war, ein zweites Mal zu heiraten.
"Warum sollte man sich täglich mit dem gleichen Essen zufrieden geben, cara, wenn man das ganze Büfett probieren kann?" hatte sie einmal charmant lächelnd gesagt.
Violetta liebte das Leben und wurde vom Leben geliebt. Während des heißen Sommers zog sie sich in ihr bezauberndes Zweitdomizil am Fuße der Berge in der Nähe von Urbino zurück, um sich von den anstrengenden gesellschaftlichen Verpflichtungen, die sie das ganze Jahr über genoss, zu erholen.
Und ständig drängte sie Clare, sie doch zu besuchen. "Du bist jederzeit willkommen", hatte Violetta ihr versichert und sich mit einem Spitzentaschentuch eine echte Träne aus dem Augenwinkel getupft.
"Ich würde dich so gern wiedersehen. Du bist das Ebenbild deiner Mutter Laura, meiner Cousine und lieben Freundin. Sie fehlt mir so. Ich werde nie verstehen, wie dein Vater diese schreckliche Frau ihren Platz an seiner Seite einnehmen lassen konnte."
Doch Marc hatte es sich schon lange angewöhnt, auf solche Bemerkungen grundsätzlich nicht zu reagieren. Laura Marriot war nun seit fünf Jahren tot, und wie immer Clares Meinung über ihre Stiefmutter sein mochte und
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