Der verflixte Bahnhofsbau
Es fehlt im schönen Hasenkrug
der Bahnhof noch und auch der Zug.
Hasenkrug ist eine kleine Stadt, eine sehr kleine, und sie liegt nicht weit von hier fast genau an der Stelle, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
In den Häusern Hasenkrugs wohnen große Leute und kleine, dicke und dünne, blonde und schwarze und sogar ein paar glatzköpfige. Alle sind ein wenig klug und ein wenig dumm, ein bißchen gut und ein bißchen böse, denn sie sind eben Menschen rundum.
Hasenkrug hat nur vierunddreißig Häuser. Wenn man das Haus von Jochen Krumm, dem Orgeldreher, nicht mitzählt, weil es eigentlich ein alter Schafstall ist, dann sind es nur dreiunddreißig. In der Stadt gibt es drei Straßen, die Schulstraße, die Bahnhofstraße und den Mückentaler Heerweg. Außerdem sind noch zwei Sackgassen da, das Große T und das Kleine T. Bahnhofstraße und Schulstraße kreuzen sich, und an der Kreuzung hat der dicke Fidi seine Wirtschaft. Mitten auf der Kreuzung aber, die gleichzeitig Marktplatz ist, steht ein schöner Brunnen aus Stein. Goldfische schwimmen darin herum, und zwar solche mit Bart und solche ohne. In der Mitte des Beckens steht ein Mann mit einer Krone auf dem Kopf und einer langen Gabel in der Hand. Dieser Herr heißt Neptun mit Nachnamen und ist so kunstvoll gebaut, daß sein Kopf genau den Mittelpunkt der Stadt bildet.
Die Schulstraße reicht vom Friedhof bis zur Schule. Dort biegt sie um und heißt dann Mückentaler Heerweg, auf dem man tatsächlich die Nachbarstadt Mückental erreicht, wenn man nur immer geradeaus geht. Hier am Ortsausgang wohnt Schlächtermeister Brating mit seinen Ochsen und Schweinen. Die Bahnhofstraße endet auf der einen Seite im Kleinen T und auf der andern im Großen T. In die beiden T=s kann man nach links und rechts ein Stück hineingehen. Sie kleben an der Bahnhofstraße wie der Querbalken auf dem T. Das erklärt ihren Namen. Vor dem Friedhof biegt ein Feldweg ab, der über die Brake in den Wald, den Brakenbusch, führt. An diesem Weg wohnt Jochen Krumm mit seiner Orgel.
Im Brakenbusch wimmelt es seit jeher von Räubern, das macht ihn so gefährlich. Am meisten wimmelt es da von dem Räuber Henner Blau, und der hat eine Pistole, eine richtige, vorne aus Eisen und hinten aus Holz.
Henner tut alles Böse, was in Hasenkrug geschieht.
Er stiehlt dem Gärtner die unreifen Äpfel von den Bäumen, gießt in der Molkerei Essig in die Milch und klaubt beim Bäckermeister Bodenluk die Rosinen aus dem Kuchen. Solche bösen Taten geschehen zwar in anderen Städten auch, und da sind meistens freche Jungen die Täter, aber in Hasenkrug tut alles Henner Blau.
Jetzt geht gerade die Sonne unter. Die Dämmerung drängt das letzte Licht aus der Bahnhofstraße in den Mückentaler Heerweg und schubst es dort an den hohen Linden vorbei in den Brakenbusch, wo es ganz schnell verlorengeht. Im Großen T ist es schon dunkel, im Kleinen T auch. Vom Himmel zwinkert der Abendstern dem Orgeldreher Jochen Krumm, der noch auf der morschen Bank vor seinem Schafstall sitzt und eine Pfeife raucht, einen guten Abend zu.
Die Leute sind schon in ihren Häusern. Manche haben das Licht angeknipst, manche sitzen im Dunkeln, weil sie sparen müssen oder geizig sind. Einige sind auch schon ins Bett gegangen.
Im Gasthaus „Zum dicken Fidi“ sind alle Fenster erleuchtet. Dort sitzen um den großen runden Tisch die klugen Männer der Stadt. Sie sitzen und sitzen, denn sie haben eine Sitzung. Der Bürgermeister ist dabei, der Feuerwehrhauptmann, Schlächtermeister Brating, Bäckermeister Bodenluk, Sparkassenleiter Knausi und noch ein paar andere, im ganzen elf. Auch Frau Nasenblum, die Eisverkäuferin, gehört zu den klugen Männern, obwohl sie eigentlich eine Frau ist. Aber weil sie seit sieben Jahren mit ihrem Eiswagen kreuz und quer durch Hasenkrug zieht, jeden Winkel genau kennt, von den Kindern sogar alle drei oder vier Vornamen weiß, wollte der Bürgermeister nicht auf sie verzichten und hat sie einfach zum klugen Mann ernannt.
Der dicke Fidi ist natürlich auch dabei, aber er sitzt nicht mit am Tisch, er läuft hin und her mit großen und kleinen Gläsern voll Bier und Schnaps, denn klug sein und klug reden macht durstig.
Heute haben die Männer eine ernste Beratung. Der Bürgermeister hat soeben einen fettigen und halb zerrissenen Zettel vorgelesen, auf dem nur vier Wörter stehen, Wörter aber, die alle Männer sehr nachdenklich gemacht haben:
„Bahnhofstraße ohne Bahnhof,
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