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Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Der vergessene Turm: Roman (German Edition)

Titel: Der vergessene Turm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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Hüggelland.«
    »Muss er doch auch gar nicht«, belehrte Mellow seinen Freund. »Er wird einfach zugesehen haben, dass er von der offenen Straße herunterkommt, und dazu ist dieser Pfad doch bestens geeignet. Schau, hier sieht doch alles gleich aus. Lass ihn uns ein paar hundert Klafter versuchen; wenn er uns in die Irre leitet, kehren wir um und bleiben auf der Straße.«
    Doch der Pfad führte sie nicht in die Irre. Stellenweise war er nur schwer erkennbar und zugewachsen oder durch umgestürzte Bäume versperrt; aber es schien, als sei er früher viel benutzt worden. Er erklomm schon bald einen schnell ansteigenden Berg, der sich aus dem Wald erhob wie eine Insel. Seine Kuppe war völlig kahl; und Gras wiegte sich im Wind und glänzte im hellen Sternenlicht. »Der Glatzenberg!«, rief Mellow voller Freude, als sie den Rand der Kuppe erreichten. »Es ist wirklich eine Abkürzung. Hier standen früher die Meiler eines Köhlers, und wenn ihr tief einatmet, dann spürt ihr noch immer einen Hauch von Holzkohle in der Luft. Aber er ist nicht mehr hier, und seine Hütte ist verfallen. Dort drüben schlängelt sich der Pfad zu Tal. Er trifft weiter unten auf die Honigwiese, und von dort aus kannst du schon die östlichen Dächer von Rudenforst sehen.«
    »Und wäre ich ein Gidrog, dann würde ich genau das jetzt mit scharfem Schwert zu verhindern wissen, Herr Rohrsang. Du machst deinem Namen wirklich alle Ehre. Was habe ich euch unlängst gesagt über lautes Reden im Wald?« Circendil trat hinter einer Eiche hervor und runzelte voller Unverständnis über diesen Leichtsinn die Stirn. Dann musste er lachen, als er ihre verstörten Gesichter sah. »Ich hoffte sehr, ihr würdet ohne mich entkommen können«, sagte er erleichtert. »Ich war, nun ja, verhindert. Aman sei Dank, und ihr habt es geschafft.«
    »Aber   … dieser Vogel   … er hatte dich gepackt und in die Luft gerissen!«, entfuhr es Finn. »Wie kannst du   … ich meine, wie bist du ihm entkommen?«
    »Das«, sagte Circendil, »ist keine Gutenachtgeschichte, und hier sind einige, die viel zu müde sind, um sie jetzt noch zu würdigen. Ich erzähle es euch später. Im Augenblick will ich nichts anderes, als nach Rudenforst zu gelangen. Lasst mich Gatabaid tragen, derweil wir den Pfad nehmen hinab zur Honigwiese, von der Mellow eben sprach. Und wehe, wir können von dort aus nicht die Dächer sehen, und du erdreistest dich zu rufen, Herr Rohrsang.« Er drohte ihm im gespielten Ernst mit dem erhobenen Zeigefinger.
    »Haha«, machte Mellow. »Was willst du dann tun? Du besitzt kein Schwert mehr, falls du es noch nicht bemerkt hast.«
    »Richtig«, sagte Circendil lächelnd. »Jemand nahm es auf und verwahrt es seitdem für mich, wofür ich überaus dankbar bin. Allerdings will ich mich später dafür erkenntlich zeigen. Für den Moment darf dieser Jemand es für mich sogar bis unter jene Dächer tragen   – zur Strafe für allzu lautes Reden im Wald. Und nun kommt.«
    Er nahm Gatabaid auf den Arm, rückte seinen Rucksack zurecht und schritt den Pfad hinab. Finn und Mellow sahen sich verblüfft an und stolperten dann müde hinterdrein. Der Köhlerpfad kürzte in der Tat einen Gutteil des Weges ab, den Finn und Mellow mit dem Wagen gefahren waren. Er umlief den Bereich der Waldarbeiter und folgte früheren Schneisen, ehe er an einer flachen Wiese endete; einer Wiese, die sich wie eine große Zunge in den südlichen Waldrand erstreckte.
    Ein früher Bodennebel hüllte sie ein, der wie weiße Rauchwölkchen über den Gräsern lag. Noch zu Rorigs Kindertagen waren hier Bäume gefällt worden, doch nicht alle Stümpfe hatte man entfernt, sondern sich ihrer zu bedienen gewusst. Heute standen auf ihren abgesägten Oberflächen etliche Bienenkörbe, gleichmäßig über die gesamte Wiese verteilt. Vier Dutzend oder gar mehr waren es, und sie sahen aus wie dunkelgraue Waldschrate, die rundgeflochteneHüte trugen und still im aufkommenden Nebel wachten. Finn fiel sofort wieder ein, dass Médha , Honig aus Rudenforst, als eine kostbare Delikatesse aus dem Obergau galt; aber nie waren ihm das Hüggelland und seine Schätze so unwirklich erschienen wie in jener Nacht, da sie stumm zwischen all den Körben unter den Sternen dahingingen. Selbst das verhaltene Summen, das schläfrig aus den Binsen erklang, passte eher zu einem Traum denn zu dem, was hinter ihnen lag.
    Es war drei Stunden nach Mitternacht, am frühen Morgen des 5.   Oktober, als sie durch das schlafende

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