Der vergessene Turm: Roman (German Edition)
Rudenforst gingen und völlig erschöpft an die Tür der Krummen Kiefer pochten.
13. KAPITEL
Die Aufgabe von Rudenforst
V IELE M ALE MUSSTEN SIE klopfen, ehe sie von drinnen schlurfende Schritte hörten. »Ja doch. Immer mit der Ruhe. Wer ist denn da?«, fragte jemand endlich halblaut. Mellow antwortete und nannte seinen Namen. Ein Riegel wurde zurückgeschoben und die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Ein dünner Lichtkeil fiel heraus, und dann erkannten sie Sahaso Rohrsang, der eine Kerze trug. Er stand im Nachthemd in der kalten Diele und rieb sich die bloßen Füße an den Waden.
»Was machst du denn mitten in der Nacht da draußen?«, fragte Mellows Bruder schläfrig. Erst jetzt bemerkte er hinter Mellow noch weitere Gestalten im Nebel. Und als er gar den hochgewachsenen Menschen sah, verschlug es ihm die Sprache. Alle Schlaftrunkenheit war schlagartig verflogen.
Es klang nicht wenig entgeistert, als er fragte: »Wen bringst du da, Mellow? Herrn Finn wieder, wie ich sehe. Aber was habt ihr getan? Habt ihr einen Wrisilrhiob gefangen? Und was hat er da auf dem … gütiger Himmel. Gatabaid! Herein mit euch!«
Nacheinander schlüpften sie in die Gaststube. Circendil musste sich tief bücken, als er eintrat, und drinnen streiften seine Haare die Deckenbalken, als er sich wieder aufrichtete. Dankbar schälten sie sich aus ihren klammen Mänteln. Sahaso verschloss sorgsam die Tür, nicht ohne vorher einen raschen Blick die Straße hinunter in beide Richtungen geworfen zu haben. Mellow bemerkte die ungewohnte Achtsamkeit seines Bruders. »Seit wann schiebt ihr nachts den Riegel vor, Saho?«
»Seitdem du fort bist«, antwortete Sahaso. »Entschuldigung,Herr Finn: Seitdem ihr fort seid, sollte ich wohl besser sagen. Ihr wisst schon: das ganze Gerede von Klauenspuren und so weiter. Und es sind große Vögel über Rudenforst gesichtet worden; ganz so, wie Herr Finn hier es erzählte.«
Er starrte dabei Circendil an wie jemand, der noch nie einen Menschen gesehen hatte (was ja auch stimmte); dann wischte er sich den letzten Rest Schlaf aus den Augen und meinte: »Ihr seht allesamt ziemlich furchtbar aus. Sucht euch einen Platz vor dem Kamin. Ich wecke Kampo; er soll ihn in Gang bringen. Ach was, ich wecke gleich alle im Haus – ihr werdet gewiss einiges zu erzählen haben.« Damit war er fort und ließ sie im Licht der Kerze stehen.
Die nächste Viertelstunde herrschte ziemliche Aufregung im Hause Rohrsang. Mellow lehnte das Schwert in eine Ecke und rieb sich seine Schulter. Von oben hörten sie Gegähne und Getuschel und nackte Füße, die über die Holzbohlen tapsten. Im Kamin brannte schnell ein wärmendes Feuer, von Kampo emsig geschürt. Rorig kam mit zerzausten Haaren die Stiege herunter und wollte brummend wissen, was es gab. Er wurde vertröstet. Circendil nahm auf einem Schemel Platz, die schlafende Gatabaid lag immer noch in seinem Arm. Mellows Mutter Dhela brachte ein Tablett mit Tassen und einen Krug voller heißer Milch samt einem Topf Médha aus der Küche. Sie stellte das Tablett ab und verschwand; sie richtete oben in aller Eile ein Bett her, in das sie und Finn das Mädchen legten. Sie deckten sie zu, ohne dass Gatabaid erwachte. Rorig saß derweil in seinem Schlafrock da und beäugte den (seiner Ansicht nach) geradezu baumlangen Menschen unter zusammengekniffenen Lidern, was ebenso Misstrauen ausdrücken mochte, wie es auf seine mit dem Alter zunehmende Kurzsichtigkeit zurückzuführen war, oder, wahrscheinlicher, beides. Er trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. Kampo legte noch ein Holzscheit nach und stellte den Schürhaken beiseite. Sahaso hatte irgendwo seine Pantoffel gefunden, und endlich kehrte Ruhe ein; alle saßen um den Kamin herum. Mit dampfenden Bechern in den Händen blickten sie Mellow neugierig an. Ein durchdringenderHonigduft erfüllte die Schankstube, und wohlige Wärme machte sich breit.
»Tja, hm«, begann er, »wie ihr sehen konntet, haben Finn und ich Gatabaid gefunden. Und noch ein wenig mehr, könnte man sagen, das wir weder suchten noch finden wollten. Zum Glück hat uns dann Herr Circendil gefunden, und damit wendete sich sozusagen alles zum Guten.«
Natürlich verstand keines der Familienmitglieder auch nur ein Wort. Finn übernahm es schließlich, allen Anwesenden eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse am Acaeras Alamdil zu geben. So ungeheuerlich und zu unglaublich war das, was er berichtete, als dass eine knappe und nur einmalige Erzählung
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