Der verlorene Brief: Roman (German Edition)
regelmäßigem Briefverkehr mit seinen Freunden und Verwandten, so sie mehr als ein Dorf entfernt wohnten. Im ganzen Hüggelland, in fast jedem Dorf, gab es Postämter oder zumindest Vahits, die das Postrecht hielten, und alle Postler hatten, besonders zu den Feiertagen, ganz erheblich zu tun.
Die Vahits schrieben zu allen Zeiten gern und viel. Zumindest die Gebildeteren unter ihnen – die Cuorderin und Firsterin, die Kundigen und Verständigen – veröffentlichten (wenigstens) ein Buch, und Finn Fokklin bildete hierin keine Ausnahme (in anderem Belangen allerdings sehr wohl).
Die Windmühle indes, die Furgos Gütesiegel zierte, ging auf Maltet Fokklin zurück, der den Beinamen Fokklin als erster führte.
Furgo war der Sohn von Falang, und dieser war einer der beiden Söhne von Forro dem Einhändigen, der ein Sohn von Asblád dem Kaumhaarigen war, seinerseits ein Sohn Bádings aus dem Maschengeschlecht Maltets. Den Beiname Fokklin erhielt jener Maltet, wie manche Quellen wussten, weil er dafür bekannt gewesen sein soll, Windmühlen bauen zu können, wobei sich der Name auf das »aufzeyhen«, das Aufziehen der Fokken oder Mühlensegel bezog; manche Spötter hingegen meinten, es beziehe sich (lediglich) auf Maltets eher einfaches Gemüt, da nichts ihn aus der Ruhe zu bringen vermochte, und jeder Versuch, ihn aufzuziehen, bestenfalls zu einem einfältigen Grinsen Maltets führte.
Wie dem auch gewesen sein mochte, auch Báding jedenfalls baute Mühlen, von denen eine noch zu Finns Lebzeiten stand. Sie drehte ihre Flügel auf dem Rasteberg bei Vierstraß im Wind. Mit Asblád dann verging die Mühlenbaukunde in der Familie, oder sie dünnte aus, wie man sagen könnte; ob aus Umstand oder Unverstand, wusste sich niemand mehr zu erinnern.
Asbláds Sohn Forro jedenfalls baute keine (fremden) Mühlen mehr; er zog von Moorreet um nach Muldweiler, einem Brada jenseits der Räuschel, und lieferte fortan Bau- und Grubenholz in die Berge hinauf bis nach Zarten. Holz, das er im Muldwald selber schlug und in der eigenen Sägemühle zersägte. Jedenfalls tat er das einige Jahre, bis er sich selbst (unabsichtlich) verstümmelte: Seine rechte Hand geriet unter die Säge, und er übergab die Mühlengeschäfte seinem älteren Sohn Ferro.
»Mag auch meine rechte Hand dahin sein«, so soll er noch auf dem Krankenbett gesagt haben, »so kann ich mit links immer noch rühren.« Und er begann, kaum dass er genesen war, verschiedenste Tinten anzurühren; erst, um sich die Zeit zu vertreiben, und später, als sich zeigte, wie gut sie waren, mit Gewinn. Falang war Forros Zweitgeborener; und diesem vermachte er das Geheimnis seiner Tinten. Die beiden Brüder gerieten ob des ungleich verteilten Erbes in Streit, wobei beide dachten, die Sägemühle sei der bessere Teil.
Falang zog, mit wenig mehr als dem nötigsten versehen, aus Muldweiler fort und kehrte zurück nach Moorreet. Er gründete dort, nach einer Lehrzeit als mechellinder Schreiber, eine Tintnerey. Er heiratete Taberna Drossler, ein Mädchen aus Lammspring, das ihm in vielen Dingen guten Rat wusste; und so wurde er in der Folge, wie nach ihm auch sein Sohn Furgo, bevorzugter Lieferant der Bücherey zu Mechellinde, der größten Sammlung an Wissen im ganzen Hüggelland.
Ferros Kindeskinder blickten neidisch über die Räuschel und meinten noch bis in Finns erwachsene Tage, nicht die Sägemühle, sondern das streng gehütete Geheimnis um die Tinten sei der wahre (und bessere Teil) von Forros Erbes gewesen.
5. VON DER ABGESCHIEDENHEIT DES HÜGGELLANDES
Der Tennlén Alam, der Alte Weg nach Uvaithlian war im Jahr 710 n.d.D. kaum mehr als solcher erkennbar, und er wurde von den Vahits auch nicht begangen. Ihre nördliche Grenze war der Lauf des Wirrelbaches, und damit hatte es sich; weiter gingen sie nicht. In den Königreichen Revinore und Arelian war die einstmals prächtige Straße auf die Linvahogath hinauf längst vergessen worden, und so kam es, dass sich in den langen Jahren seit der Besiedlung durch die Vahits nicht ein einziger Besucher aus den Außenlanden im Hüggelland eingefunden hatte.
Außer dem Alten Weg gab es keinen Zugang zu den Hügeln oberhalb der Linvahogath. Weder von der Meeresseite noch im Süden noch im Norden waren die Berge übersteigbar, zu schroff und steil ihre Hänge, zu tief und unwegsam ihre Schluchten. Und die Linvahogath selbst ragte, über eine Meile hoch, senkrecht aus den Schattenfennen auf.
Was die Vahits über die Welt außerhalb des
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