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Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Der verlorene Brief: Roman (German Edition)

Titel: Der verlorene Brief: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert M. Talmar
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selbst die Vahits wussten oder vermuteten: Einzig allein hier im Hüggelland, im äußersten Nordwesten Kolryns, gab es noch Bücher aus jener fast vergessenen Zeit. Alles übrige Schrifttum war, bis auf vereinzelte Ausnahmen, die in irgendeinem Keller einem ungewissen Schicksal entgegenmodern mochten, in den Wirren der Dreiteiligkeit verloren gegangen; nahezu alles war ein Opfer der Flammen und der Raserei geworden oder war anstelle von Korn und Saatgut in die Mägen hungriger Mäuse und Ratten gelangt; große Hungersnot herrschte damals, als die Kriegstrommeln erklangen. Die Felder blieben unbestellt, und reichhaltige Ernte hielt allein Gevatter Tod.
    Die Buoggahäuser bewahrten aber nicht nur die Schriften der Altvorderenzeit, sondern sie sammelten auch alles, was im Hüggelland selbst seit der Ankunft der Vahits geschrieben wurde.
    Es ist gewiss nicht übertrieben: Die Vahits liebten Bücher wie kein anderes Volk in Kringerde. In ihnen verzeichneten sie, ebenso gewissenhaftwie um Wahrheit bemüht, vor allem die Geschehnisse des täglichen Lebens, Dinge, auf dies es ihnen zuvorderst ankam: wer wann was getan hatte, und, so sie es in Erfahrung bringen konnten, warum. Aber auch die Weitergabe erarbeiteten Wissens empfanden sie als wesentlich: wann welche Feldfrüchte anzubauen seien, wie man Rosenstöcke richtig beschnitt, worauf es beim Schmauchen ankam, wie Bier zu brauen, wie Wein zu keltern und zu lagern sei, die Kunst der Meierey, des Wollespinnens und tausenderlei andere Dinge hielten sie für wertvoll genug, um sie schriftlich an die Nachfolgenden weiterzureichen. So gab es Werke über den Ackerbau und die Pflege der Wälder, über das Aufrichten von Brochs und die Kunst des Stollenbaus; und wieder andere über das, was Sitte ist und die Pflichten der Máhin. Dazu kamen Berichte über das, was sich in den sieben Gauen ereignete, ergänzt um endlose Stapel von Verträgen, die die Vahits oft und gern untereinander schlossen. »Um des lieben Friedens Willen«, wie sie betonten.
    Doch in den Buoggahäusern wurde bei weitem nicht nur gesammelt, sondern vor allem auch gelehrt. Wer wollte   – und jeder Vahit will das   –, konnte hier die Kunst des Lesens und Schreibens erlernen. Darüber hinaus gehörte zu jeder Bücherey auch eine Colpia, in der Abschriften und ergänzende Zeichnungen angefertigt wurden, denn den Buchdruck kannten die Vahits nicht. Und selbstverständlich gab es neben Lesesälen auch Schulzimmer und Arbeitsräume sowie ein Gästehaus samt Küche für die Besucher, die aus allen Ecken des Hüggellandes kamen.
    Finns Vater Furgo lieferte alles, was in den Büchereyen, aber auch von den einfachen Vahits zum Behufe des Schriffens (des Schreibens) benötigt wurde.
    Was Furgos Werkstatt mit dem Drachenschildstempel verließ, erfüllte so gut wie jeden Wunsch eines Schriffers: Tinte natürlich, in allerlei Farben und Dichten und Abfüllgrößen; dazu handgeschöpftes Papier in allen machbaren Stärken und Maßen; Löschsand, von fein bis grob; Umschlagsleder (mit und ohne Prägung); Federkiele (für Rechts- und Linkshänder); Pinsel, Bürsten und Besen; Tintenfässer; Federhalter; Anschnitt- und Schabemesser; Nähgarn und Nadeln samt Fingerhüten und Handschuhen; Lederfett; Leim in Fässchen und Fläschchen, aber auch als Pulver (zum Selberanrühren); Stempel und leinerne Tintenkissen; Prägebuchstaben (in fünf verschiedenen Größen) und Prägehämmer; Verziernägel; Poliertücher; Siegellack und Siegelkordeln; Lineale, Zirkel, Pinsel, Klecksentferner und Schmuddeltücher; Staubwedel und Schürzen, Rollenbänder, Ärmelschoner, Scheren und alle Arten von Rohschildern (zum nachträglichen Beschriften). Vor allem aber sauber beschnittene, sorgsam vernähte und in feinstes Leder gebundene, leere Bücher, die herrlich dufteten und begierig darauf warteten, von geübter Hand beschrieben und verziert zu werden.
    Übliche Dinge, gewiss, aber samt und sonders waren alle Fokklinhand-Waren   – wenngleich teuer   – langlebig und vortrefflich gearbeitet und nirgendwo sonst in dieser Güte zu bekommen. Sieben Gesellen beschäftigte Furgo, und der ursprüngliche Broch hatte schon zweimal umgebaut und vergrößert werden müssen.
    Da es kaum einen Vahit gab, der nicht lesen und schreiben konnte, bestand ein ziemlich hoher Bedarf an allem, dessen man zum Schreiben von Briefen, dem Anlegen von Listen und vor allem dem Verfassen von Büchern brauchte. Jeder Vahit, der etwas auf sich hielt, stand in

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