Der verlorene Troll
darüber nach. Der Neuankömmling, Squandral, gab ihnen einen Gürtel, sie gaben ihm dafür andere Dinge. Im Grunde wie bei den Trollen, dachte er. Auch diese teilten alles, was sie hatten. Fand einer von ihnen zwei Fledermäuse am Boden einer Höhle, gab er eine davon seinem Freund. Dieser würde jederzeit das gleiche für ihn tun. So hatte jeder immer eine Fledermaus zu essen.
Unter Trollen war das Teilen eine einfache Angelegenheit, aber bei den Menschen waren die Regeln viel komplizierter. Als Made nach der Flut zum ersten Mal mit Sinnglas ins Dorf kam, besaß er nichts, außer den Sachen, die er am Leib trug, sein Messer und die zwei durchsichtigen Steine um den Hals, und er hatte von vielen Leuten Geschenke bekommen. Damaqua hatte ihm eine Decke gegeben, ähnlich wie jene, die Squandral nun erhalten hatte. Eines Abends ging Made mit Sinnglas und seinen zwei Brüdern in eine Hütte, um mit einem Mann zu reden - Sinnglas musste ständig mit vielen Leuten reden -, und die alte Frau dort gab Made eine Schüssel mit Maisbrei. Er war es leid, die Decke mit sich herumzutragen, und schenkte sie der Frau im Gegenzug. Als Damaqua davon hörte, wurde er wütend. Er sprach nicht mehr mit Made und lud ihn nicht mehr zum Essen ein. Sinnglas jedoch war seltsamerweise nicht verärgert. Folglich dachte Made, dass er doch etwas richtig gemacht hatte, auch wenn er nicht wusste, was es war.
Squandral näselte zu jedem Geschenk ein paar Worte. Made konnte ihn weder verstehen, noch seinen Gesichtsausdruck deuten. Er fragte sich, ob Squandral die Decke wohl behielt oder gegen eine Schüssel mit Essen eintauschte.
Damaqua paffte an seiner Pfeife und fuhr dann fort: »Nun bittet uns der ehrenwerte Squandral, die langen Jahre des Friedens zu vergessen, wie eine schlechte Ernte, und unsere Beziehungen mit den Eindringlingen zu begraben wie Getreide, das von Ungeziefer befallen ist. So etwas zu tun, fällt uns schwer. Was werden wir essen, wenn wir die ganze Ernte begraben, und woher sollen wir das Saatgut für das nächste Jahr nehmen? Schaut euch um. Wer unter uns trägt nicht etwas bei sich, das aus dem Handel mit den Eindringlingen stammt?«
Made besaß mittlerweile einen Gürtel, eine Kniehose, die ihm gut gefiel, und ein scharfes Beil, das er allerdings noch nie benutzt hatte. Die meisten der anderen Männer hatten ebenfalls Beile. Er hatte keine Schuhe an seinen Füßen oder sonstigen Schmuck, wie ihn Sinnglas’ Volk trug, weil er fand, dass er bereits zu viele Dinge mit sich führen musste. Als er über die Schultern der anderen Männer spähte, um einen besseren Blick auf die Geschenke werfen zu können, schaute Squandral ihn an. Er war ein harter Mann, wie aus Granit. Made erwiderte seinen prüfenden Blick ohne mit der Wimper zu zucken.
Damaqua sprach weiter und unterstrich seine Worte mit den Händen. »Der ehrenwerte Squandral sagt, die Zeit für einen Krieg sei gekommen. Er sagt, die Eindringlinge stießen immer mehr in die höheren Täler vor, töteten unser Wild und drängten uns weiter die Berge hinauf. Das ist wahr. Er sagt, sie besetzten unser Land, ohne Respekt für die Art und Weise, wie wir es nutzen, und bauten ihre Farmen und Häuser darauf. Das ist ebenfalls wahr. Er sagt, wir müssten gegen sie rebellieren, wie wir es vor dreißig Jahren taten, als er und mein Vater noch junge Männer waren.« Er schlug mit dem Handrücken der einen gegen die Handfläche der anderen Hand. »Er sagt, wenn wir die Hand schlagen, die von unserem Teller stiehlt, wird sie das Stehlen vielleicht eine Weile bleiben lassen.«
Sein Blick ruhte auf Sinnglas und forderte ihn zum Widerspruch heraus.
»Ich sage nicht ja und nicht nein zu Squandrals Vorschlag«, fuhr er dann fort. »Lasst uns das Festmahl zu uns nehmen und untereinander Rat suchen, dann wollen wir eine Einigung finden.«
Er reichte Squandral die Pfeife, der an ihr saugte wie ein Säugling an der Brust seiner Mutter. Überall im Raum beugten sich die Männer vor, um miteinander zu beratschlagen.
»Wie werden sie abstimmen?«, flüsterte Made in Sinnglas’ Ohr.
»Es wird keine Einigung geben. Damaqua kann die Abstimmung für den Frieden nicht gewinnen, und meine Anhänger werden die Abstimmung für einen Krieg nicht gewinnen können.«
Krieg. Die Bedeutung dieses Worts verstand er nicht. Sinnglas’ Sprache verwirrte ihn. Es gab zwar ein Wort, das »graben« bedeutete, aber anders als bei den Trollen fehlten die Worte, um zu beschreiben, wie man mit den Fingerspitzen
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