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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Adreßbuch fragen, meine Liebe.«
    Sie sah ihn erstaunt an und meinte:
    »Das Adreßbuch fragen? Wie fragt man es denn?«
    »Man sieht hinein.«
    »Ach so! Was ist das denn für ein Buch?«
    »Es ist ein Buch, in welchem die Namen Aller stehen, welche hier in der Residenz wohnen. Dabei ist zu lesen, was sie sind und wo sie wohnen.«
    »Ach so! Wer das erfunden hat, der ist kein dummer Kerl gewesen. Wo ist das Buch?«
    »Da drinnen in der Restauration. Sie brauchen nur den Kellner darum zu bitten.«
    »Danke schön, lieber Herr!«
    Sie nahm ihren Alten beim Arme und zog ihn mit sich fort.
    »Hast Du es gehört?« fragte sie stolz.
    »Vom Adreßbuch?«
    »Nein. Die Höflichkeit.«
    »Welche Höflichkeit?«
    »Mann, Du dauerst mich! Er hat mich viermal ›meine Liebe‹ genannt. Man merkt es doch gleich, daß man in der Hauptstadt ist, wo der König wohnt. Komm jetzt herein!«
    Sie zog ihn in die Restauration. Daß sie dabei in das Wartezimmer erster Klasse gerieth, das war ihr gleichgiltig. Diese Unterscheidung war ihr unbekannt.
    Sie bemerkte mit süßer Genugthuung, daß sich Aller Augen auf sie und ihren Alten richteten. Das gab ihr eine innere Festigkeit, wie sie sich noch niemals gefühlt hatte.
    »Setz Dich!« raunte sie dem Köhler gebieterisch zu.
    Er zögerte aber doch und flüsterte:
    »Du, das ist Sammet!«
    »Sammet oder nicht; Andere sitzen auch darauf.«
    Sie zog ihn neben sich auf das Plüschsopha nieder, und da kam auch schon der Kellner und sagte: »Entschuldigen die Herrschaften! Sie sind hier am unrechten Orte?«
    »Nein. Wir sind sogar hierher gewiesen worden.«
    »Von wem?«
    »Von dem mit der goldenen Mütze.«
    »Ah, Verzeihung! Das ist etwas Anderes! Was befehlen Sie?«
    »Das Buch mit den vielen Namen.«
    »Sie meinen das Adreßbuch?«
    »Ja, so war es.«
    »Wollen Sie auch etwas genießen?«
    »Genießen? Wie?«
    »Ich meine essen oder trinken?«
    »Ach so! Muß man denn bei dem Buche etwas trinken?«
    »Gewöhnlich, ja.«
    »Na, was haben Sie denn zu trinken?«
    »Lieben Sie warm?«
    »Allemal!«
    »Vielleicht einen Eierpunsch?«
    »Meinetwegen! Ist er groß?«
    »Ein Gläschen.«
    »Na, da bringen Sie zwei!«
    Der dienstbare Jüngling machte eine heldenmüthige Schwenkung. Er freute sich im Vollgefühle seines Sieges über diese Eindringlinge. Die Alte aber wisperte ihrem Manne zu: »Hast Du es gehört, wie er uns nannte?«
    »Herrschaften? Nicht?«
    »Ja. Und um Verzeihung bat er. Hast Du’s gehört?«
    »Freilich.«
    »Du, ich denke, daß wir heute so einen vornehmen Eindruck machen. Es ist die Hauptstadt. Es liegt hier so in der Luft! Da kommt er schon wieder!«
    »Hier, meine Gnädige!«
    Er verbeugte sich in ironischer Höflichkeit und legte ihr das Buch hin. Als er sich dann wieder entfernte, blickte sie ihm befriedigt nach, ließ das Auge über die Anwesenden schweifen und sagte:»Alle staunen uns an. Ich glaube, daran ist meine seidene Flattusenhaube schuld. So ein Prachtstück wird eben jetzt gar nicht mehr gemacht. Die Schneiderinnen haben kein Geschick mehr dazu. Früher gab es gescheidtere Leute.«
    Jetzt öffnete sie das Buch. Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck an, welcher der Grund war, daß sich rundum ein unterdrücktes Lachen hören ließ.
    »Du,« sagte sie. »Das ist nicht meine Art von Schrift. Die ist mir viel zu klein, und ich habe meine Nasenquetsche nicht mit.«
    »Gieb her!«
    Er nahm das Buch und begann zu blättern.
    »Na,« meinte sie. »Wann geht’s denn los?«
    »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Mir sind die Buchstaben viel zu klein.«
    »Ja, Deine Augen sind auch nicht mehr wie früher. Schadet aber auch nichts. Der Kellner muß vorlesen.«
    Sie warteten, bis er das Getränk brachte. Da schob sie ihm ganz einfach das Buch hin und sagte: »Da, fangen Sie an!«
    »Anfangen?« fragte er erstaunt.
    »Ja!« antwortete sie resolut.
    »Sie meinen – –?«
    »Vorlesen!«
    »Ah so! Ich soll Ihnen den Inhalt dieses Buches vorlesen?«
    »Ja.«
    »Hören Sie, dazu habe ich freilich keine Zeit!«
    »Aber dazu sind Sie da?«
    »Nein.«
    »Der mit der goldenen Mütze sagte es aber doch!«
    »Er wird gemeint haben, Sie sollen sich von mir dieses Adreßbuch geben lassen?«
    »Na freilich!«
    »Aber nicht, daß ich es Ihnen vorlesen soll. Da würden wir heute wohl nicht fertig.«
    »Aber wie will ich denn da erfahren, wo sie wohnen!«
    »Das ist mir freilich neu!« lachte er. »Sie wollen sich den Inhalt vorlesen lassen, bis der betreffende Name

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