Der verlorne Sohn
lieber laufen!«
»Das geht nicht. Der Kutscher sperrt ja schon den Wagen auf. Er hat uns kommen sehen.«
»Laß ihn sperren. Mein Geld geht vor!«
»Aber wir finden die Straße nicht!«
»Hm! Das ist eine dumme Geschichte. Daheim ist daheim!«
Sie nannten dem Droschkenführer die Straße und Nummer und stiegen nach einer allerdings ziemlichen Weile an der betreffenden Hausthür ab. Frau Hendschel bezahlte den halben Gulden ohne Ahnung, daß es auf Erden Trinkgelder gebe, und stieg dann mit ihrem Manne die Treppe empor.
Dort stand an einer Thür »Arthur Elias, Kunstmaler und Balletmeister.«
»Hier wohnt er,« sagte sie. »Hoffentlich ist er daheim.«
Sie klingelte. Erst nach einiger Zeit wurde die Thür ein Wenig geöffnet, und die Kunstmalerin fragte: »Was wollen Sie?«
»Ist der Arthur zu Hause?«
»Der – – Arthur – –?«
»Ja.«
»Wen meinen Sie denn?«
»Na, Eliassens Arthur!«
Da näherte sich die spitze Nase der Thürspalte noch mehr, und die scharfe Stimme fragte:
»Wer sind Sie denn eigentlich?«
»Ich bin seine Muhme.«
»Seine Muhme? Verwandt wollen Sie mit uns sein?«
»Uns? Wer sind denn Sie?«
»Ich bin die Frau des Kunstmalers und Balletmeisters Arthur Elias.«
»Na, da sind Sie ja meine Muhme! Machen Sie auf!«
»So schnell geht das nicht!«
»Ach was da! Unter Verwandten macht man keine solchen Sperenzien! Platz gemacht!«
Sie zwang ihren Handkorb in die Thürlücke und schob sich nach. Ihr »Alter« folgte ihr und zog dann die Thür hinter sich zu.
Die Gemahlin des Kunstmalers war außer sich. Ihr Gesicht glühte vor Ärger.
»Was fällt Ihnen ein!« sagte sie. »Sich mit Gewalt hier einzudrängen! Wissen Sie, was Hausfriedensbruch ist?«
»Machen Sie sich nicht lächerlich! Ich fürchte mich nicht! Ich werde doch als Muhme meinen Vetter besuchen dürfen!«
»Sie sehen allerdings ganz aus wie Muhme!«
»Schimpfen Sie nicht! Wo ist denn der Arthur?«
»Für Sie ist er nicht zu Hause.«
»Oho! Ich werde ihn schon finden!«
»Versuchen Sie es! Wenn Sie in meiner Wohnung weiter vordringen, schicke ich nach Polizei!«
»Das wäre allerdings sehr verwandtschaftlich gehandelt!«
»Wie heißen Sie denn?«
»Hendschel, geborene Landrock.«
»Dieser hier ist wohl Ihr Mann?«
»Ja.«
»Was ist er denn?«
»Kohlenbrenner.«
»O Himmel! Kohlenbrenner! Und mein Mann, der Herr Kunstmaler und Balletmeister, soll Ihr Verwandter sein?«
»Freilich!«
»Das ist unmöglich, ganz unmöglich!«
»Warum denn, he?«
»Ein Kohlenbrenner und ein Kunstmaler!«
»Ach so! Sie meinen, daß ein Kohlenbrenner nicht vornehm genug für Sie sei?«
»Welche Frage! Eine solche Verwandtschaft wäre ja eine Beleidigung, eine raffinirte Beleidigung!«
»Herr Jesses! Was sind denn Sie für eine Geborene?«
»Mein Name war Aurora Wendelin.«
»Und was war Ihr Vater?«
»Ein Künstler. Er malte Puppenköpfe.«
»Drum sind Sie so eine Zierpuppe geworden. Bilden Sie sich nur nichts ein! Ihr Mann war ein Schneiderjunge, und seine Tante, die geborene Bartheln, hatte ein schiefes Bein oder gar zwei. Was giebt es da für eine Veranlassung, stolz zu sein. Uebrigens komme ich nicht zu Ihnen, sondern zu Ihrem Manne. Und den werde ich schon finden. Vorwärts!«
Sie wollte die Aurora bei Seite schieben; diese aber rief ihr drohend zu:
»Keinen Schritt weiter, oder ich hole die Polizei!«
»Meinetwegen! Ich aber hole Ihren Mann!?«
Sie avancirte, und so sah sich die Balletmeistersfrau gezwungen, noch schneller vorwärts zu gehen.
»Ich werde es meinem Manne sagen, sofort, sofort!« drohte sie. »Er mag Sie hinauswerfen lassen.«
»Da sind wir dabei!«
Der Maler stand an seiner Staffelei. Da wurde die Thür ganz ungewöhnlich heftig aufgerissen, und er hörte seine Frau: »Arthur, lieber Arthur!«
»Aurora, mein Liebling?«
»Komme zu Hilfe.«
»Zu Hilfe? Ich kann nicht.«
»Du mußt, Du mußt!«
»Es geht nicht. Du weißt, daß ich soeben der Venus die Wangen anhauche.«
»Aber ich bedarf Deiner Hilfe ganz dringend!«
»Mach mich nicht nervös!«
»Komm nur, komm!«
»Was ist geschehen? Hast Du eine Maus gesehen?«
»Nein, sondern etwas noch viel Entsetzlicheres.«
»Was denn?«
»Eine Muhme von Dir.«
»Eine Muhme?«
Er ließ die Palette sinken und trat von der Staffelei zurück. Sie antwortete ihm:
»Ja, eine Muhme mit dem Vetter.«
»Sie mag einen Vetter haben; ich habe keinen, auch keine Muhme. Jage sie fort.«
»Sie geht nicht.«
»Hm! Ist sie
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