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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hübsch?«
    »Nein.«
    »O weh! Aber jung?«
    »Sehr alt.«
    »Sage ihr, daß ich keine Zeit habe!«
    Bis jetzt hatte die Köhlerin geduldig zugehört, nun aber schob sie die Malerin zur Seite und trat ein.
    »Was?« sagte sie. »Keine Zeit hättest Du? Keine Zeit für Deine Verwandte, die Deinetwegen stundenweit herkommt? Schäme Dich!«
    Da trat er auf sie zu, deutete mit dem Pinsel nach ihrem Gesicht und fragte:
    »Aurora, mein Liebling, ist das die Muhme?«
    »Ja, lieber Arthur.«
    »Und dort ist der Vetter?«
    »So sagt sie.«
    »Ich kenne Beide nicht.«
    »Was! Mich willst Du nicht kennen? Mich, eine geborene Landrock?«
    »Nein. Wollen Sie vielleicht Modell sitzen?«
    »Modell?« fragte sie. »Was ist das?«
    »Ich könnte Sie als Furie verwerthen, oder als Xanthippe, oder als Hexe, welche in der Fabel Kinder frißt.«
    Sie blickte ihn einige Augenblicke wortlos an; dann sagte sie, sich zur Ruhe zwingend:
    »Gut, ich will nicht Du sagen, sondern Sie. Aber Sie müssen sich doch meiner erinnern. Sie haben doch den Thierarzt Ebert gekannt, den sie nur den Viehdoctor nannten?«
    »Pfui! Welch ein Wort! Aurora, mein Liebling, sei so gut und schaffe dieses Frauenzimmer fort!«
    »Sogleich!«
    »Nein, nicht sogleich,« fiel die Köhlerin ein. »Erst will ich diesen Schneiderssohn einmal fragen, welchen Grund er hat, so stolz zu sein. Kunstmaler nennt er sich? Ich verstehe davon gar nichts; aber das Herz hat er nicht auf dem rechten Flecke. Er hält sich für einen vornehmen Kerl und ist doch nicht werth, daß ich mit ihm rede. Mein Mann hier ist ein einfacher, armer Kohlenbrenner; aber auf ihn kann ich stolzer sein, als diese Lieblingsaurora auf ihren Arthur. Das ist es, was ich den Beiden noch sagen will. Und nun adieu und Gott befohlen.«
    Sie wollte gehen; da aber stellte sich ihr der Maler schnell in den Weg und sagte zornig: »Was meint dieses Frauenzimmer? Was wäre ich etwa nicht werth, he?«
    Er fuchtelte mit dem langen Pinsel vor ihrem Gesicht herum. Sie lachte ihn an und antwortete:
    »Thun Sie sich nicht so groß, Sie Farbenkleckser! Gehen Sie mir aus dem Wege. Ich will gehen!«
    Das war ihm doch zu stark. Er trat ihr noch einen Schritt näher und rief voller Grimm:
    »Sie unverschämte Person! Ich werde – – –«
    »Gehen Sie zur Seite!« unterbrach sie ihn.
    Und da er in seinem Zorne die Distanz nicht beachtete und ihr mit dem Pinsel in das Gesicht kam, zog sie ihm denselben aus der Hand und warf ihn zur Seite, traf aber damit die Venus, welche einen großen Klex in das Gesicht bekam. Das verdoppelte seinen Zorn.
    »Was wagen Sie!« brüllte er. »Sie vergreifen sich an mir! Sie verschimpfiren mir meine Kunstwerke! Ich werde Sie bestrafen, ich werde Sie züchtigen so, wie Sie es verdienen!«
    Er faßte sie am Arme. Aber in demselben Augenblicke setzte sie ihren Korb nieder, ergriff den Maler mit beiden Händen und schleuderte ihn über die Stube hinüber. Dort lehnte ein Bild in der Ecke, an welchem vor Kurzem der letzte Pinselstrich gethan worden war. In dieses Bild kam er so unglücklich zu sitzen, daß er hindurchfuhr.
    Da bemächtigte sich seiner ein namenloser Grimm. Er raffte sich auf, sprang auf sie zu und holte zum Schlage aus. Da aber hatte ihn auch bereits der Köhler gepackt.
    »Hören Sie, Herr Kunstmaler,« sagte er, »ich bin bis jetzt ruhig gewesen. Meine Frau lasse ich mir nicht schlagen. Verstanden? Machen Sie Platz, daß wir gehen können. Warum stellen Sie sich uns in den Weg!«
    »Gehen?« schäumte der Balletmeister. »Nein. Sie müssen bleiben, bis die Polizei kommt. Aurora, eile, laufe!«
    Dieser Befehl war gar nicht nöthig, denn seine Frau war längst fort, um Polizei zu holen. Der Maler wollte den Köhler fest halten. Dieser meinte lachend: »Was? Sie wollen mich halten, Sie Schuljunge Sie? Da, fliegen Sie fort!«
    Er gab ihm einen Stoß, daß er sich auf eine große Terpentinflasche setzte, mit welcher er hinstürzte. Der Maler aber kannte sich selbst nicht mehr. Er brüllte, so laut er konnte und faßte den Köhler wieder an, sich fest an ihn hängend, damit er nicht fort könne.
    »Polizei! Hilfe! Hilfe! Aurora! Aurora!«
    »Gleich, Arthur, gleich!« erscholl es.
    Die Thüren wurden heftig aufgerissen und die Malerin kam mit einem Schutzmann herbei.
    »Was geht hier vor?« fragte dieser.
    »Hausfriedensbruch! Hausfriedensbruch!« rief der Maler.
    »Wieso?«
    »Sehen Sie jenes Bild? Das Weib hat mich hineingestürzt. Sehen Sie den Klex auf meiner Venus? Das Weib hat den

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