Der verlorne Sohn
Blut ihres Herzens in die Wangen gestiegen sei, und vor Zorn über ihre Unvorsichtigkeit oder auch vor tiefer innerer, schmerzlicher Erregung tropften ihr einige große, schwere Thränen von den langen, seidigen Wimpern nieder. Dann aber bat sie in tiefster Verlegenheit:
»Durchlaucht, Entschuldigung! Ich bin stets so unglücklich und erregt, wenn ich an jene bösen, unseligen Zeiten denke!«
Da ergriff er ihre Hand und sagte in so tiefem Tone, daß man es ihm anhörte, es komme aus dem Herzen, was er sprach: »Baronesse, erlauben Sie mir, als Freund zu Ihnen zu sprechen!«
»Reden Sie!« bat sie, indem sie keine Miene machte ihm ihre Hand zu entziehen.
»Sie haben ihn geliebt, herzlich und innig lieb gehabt?«
Sie senkte die Augen; sie erröthete; aber sie schwieg.
»Sie haben diese Liebe unbewußt im Herzen getragen, und erst dann, als die Größe Ihres Mißtrauens vor Ihre Erkenntniß trat, wurden Sie sich dieser Liebe bewußt?«
»Es mag so sein!« flüsterte sie.
»Und dann ist mit Ihrer Trauer auch Ihre Liebe gewachsen, so hoch, so hoch, daß es keine andere für Sie geben konnte. Darum ist Ihr Lebensweg ein so einsamer geblieben?«
Sie hatte ihm ihre Hand entzogen. Sie hielt die Hände gefaltet, als ob sie beten wolle, und in ihren Augen glänzten Thränen.
»Durchlaucht,« stammelte sie mit bebenden Lippen, »ich bin es gewesen, die ihn auf die Anklagebank und dann aus der Heimath getrieben hat. Ich habe das erst erkannt, als es mir der vorige König sagte.«
Der Fürst schwieg. In seinen Zügen kämpften tiefe Erregungen. Hatte er Sorge, gegen seine Pläne und Grundsätze zu handeln, wenn er jetzt wagte, das Wort zu ergreifen?
»Ich werde büßen, so lange ich lebe!« sagte sie. »Für mich giebt es weder Glück noch Stern. Ich habe mich an einem Menschenherzen versündigt, und das ist eine Sünde, welche nicht vergeben werden kann.«
»Und doch hat er Ihnen vergeben!«
»Weil er mich vergessen hat!«
»Er hat Sie nicht vergessen. Ich kann es Ihnen beweisen!«
»Womit?«
»Ich habe sogar den Auftrag, es Ihnen zu beweisen.«
»Womit?« wiederholte sie.
»Damit!«
Er griff in die Brusttasche und zog einen Sammetcarton hervor, den er ihr überreichte. Sie öffnete ihn, und ein in Gold getriebener und mit Perlen und Diamanten besetzter Photographierahmen flimmerte ihr entgegen. Er enthielt – das Bild ihres Milchbruders in englisch-ostindischer Offiziersuniform.
»Gustav, mein Gustav!« rief sie.
Beim Anblicke der geliebten Züge vergaß sie, wer bei ihr war. Sie drückte das Bild an ihre Lippen, an ihre Brust; sie lachte und sie weinte. Sie erhob sich von ihrem Sitze und ging in tiefster Erregung im Zimmer hin und her. Fast wurde es ihm angst. War das der stille, warme, wonnige Sonnenstrahl? Nein, nein! Aber konnte es anders sein? Zwanzig Jahre der Selbstvorwürfe, des Weinens, der Trauer lagen hinter ihr. Ihr Herz war einsam und verschlossen. Sie hatte ihre Kämpfe in stillen Nächten gekämpft. Ihr Herz, ihr Leben, ihr Dasein war unterwühlt. Eine gewaltige, hoffnungslose Liebe lag zusammengepreßt in der Tiefe ihres Herzens. Die gewaltige Expansivkraft derselben bedurfte nur des Funkens, um die Explosion, die Eruption hervorzubringen, welche jetzt erfolgt war. Der Blick auf das Bild des Geliebten war der Funke gewesen, und nun loderte die Liebe in hellen Lohen und Flammen aus ihr empor. Das konnte und mußte ganz von selbst und nur nach und nach zur Ruhe kommen!
Der Fürst saß dabei, wie Einer, welcher vor einem gewaltigen Feuer steht und sich gern hineinstürzen möchte, um zu retten, aber doch weiß, daß er selbst dabei verbrennen muß. Er kniff die Lippen zusammen und tippte mit den Spitzen seiner Finger sich die Thränen von den Wimpern.
Da plötzlich trat sie vor ihn hin und sagte:
»Durchlaucht, also ist er noch in Indien?«
»Ja.«
»Hätte er diese Engländerin nicht, ich würde noch heute nach Indien gehen, nach Kalkutta oder Madras, nach Bombay oder Benares; nein, nein, ich würde noch weiter gehen, nach China, nach Borneo, nach Australien, dreimal, zehnmal um die Erde herum, um ihn zu finden und ihm zu sagen, wie lieb ich ihn gehabt habe. Ich kann ihm nicht zürnen. Er hat mich unendlich lieb gehabt, ich weiß das gewiß; aber ich habe an ihm gezweifelt, ich habe ihn unter die Verbrecher geworfen; er konnte mich nicht mehr achten und also auch nicht mehr lieben, und darum hat er sein Glück an der Seite einer Anderen gefunden. Ich ernte nur, was ich gesäet habe. Aber
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