Der verlorne Sohn
Nachtgewand, sagte aber in bittendem Tone: »Diesen Leuten zu folgen, wird unmöglich sein, denn sie sind wohl schon längst verschwunden. Was aber mich betrifft, so fühle ich mich noch nicht im Mindesten sicher. Sie selbst haben mich in Ihren mächtigen Schutz genommen, und ich bitte Sie jetzt dringend, noch einige Zeit unter demselben bleiben zu dürfen!«
Ueber sein ernstes Gesicht glitt ein Zug herzlicher Freude.
»Ich stehe zur Verfügung, gnädige Baronesse, wenn ich nur weiß, daß es Ihr Wille ist, den ich befolge.«
»Mein Wille? Befolgen? O nein; es ist nur meine Bitte, welche Sie mir erfüllen. Haben Sie nur die Güte, mir eine einzige Minute zu gestatten!«
Sie entfernte sich und kehrte in der angegebenen Zeit wieder zurück. Sie hatte das Negliggée abgeworfen und eine andere Gewandung angelegt. Diese Letztere aber war fast ebenso verrätherisch, als das Erstere. Und das Häubchen, unter welchem sie die Fülle ihres Haares hatte bergen wollen, saß so kokett auf dem Köpfchen, daß nicht einmal die Locken gehorsam waren, sondern sich hinten und zur Seite niederstahlen, um den glänzenden Nacken und die zart gerötheten Wangen zu liebkosen und zu küssen.
Sie hatte der Zofe Befehl gegeben, und diese brachte Wein und Dessertgebäck nebst Früchten. Die schöne Baronesse schenkte selbst ein und nippte auch ein Wenig mit von ihrem Glase.
»Wissen Sie, warum ich Sie zurückgehalten habe, Durchlaucht?« fragte sie.
»Warum?«
»Ein Wenig aus Furcht, daß die Bande doch noch wiederkehren werde, mehr aber noch aus Neugierde. Ich fühle die größte Sehnsucht, Sie einem ebenso strengen wie weitläufigen Examen zu unterwerfen.«
»Ich muß mich leider fügen; ich bin ja gefangen!« erklärte er lächelnd.
»Wer hat Sie gefangen?«
»Sie!«
»Soll das eine Galanterie sein.«
Er schüttelte langsam und ernst den Kopf und antwortete:
»Ich habe keine Muse, galant zu sein.«
»Sie sind es auch nie gewesen?«
»Niemals, im gewöhnlichen Sinne des Worts.«
»So sind Sie ein Sünder; denn Sie haben nie geliebt.«
»Nie geliebt?« fragte er, indem seine großen, dunklen Augen durch das Fenster hinaus nach dem Himmel schweiften, wo die Sterne ihre ewigen Kreise zogen.
»Ich habe geliebt, einmal, ein einziges Mal, mit aller Gewalt und Innigkeit meiner Seele. Ich habe nur an sie gedacht, an sie, sie, sie! Dann verließ sie mich, und ich stand einsam. Ich habe mich gerächt, fürchterlich gerächt!«
»Gerächt?« fragte sie, über seinen Ton beinahe schaudernd. »Wie und wodurch?«
»Dadurch, daß ich sie auch dann nicht vergaß, sondern sie mit derselben Gluth und Innigkeit weiter liebte, wie vorher. Halten Sie das für möglich, Baronesse?«
»Ja,« antwortete sie erröthend. »Auch Frauenherzen können sich auf diese Weise rächen. Sie scheinen überhaupt die Liebe als das letzte Mittel der Rache gelten zu lassen. Sie behandeln sogar Einbrecher mit Liebe?«
»Diese Liebe liegt in der Tiefe des Menschenherzens verankert. Und doch gestehe ich, daß doch auch ein Wenig Berechnung mit dabei vorhanden ist.«
»Welche Berechnung könnte das sein?«
»Es ist die Berechnung des Feldherrn, welcher den Grundsatz befolgt: Getrennt marschiren und vereint schlagen. Ich befolge diesen Grundsatz um Gustav’s Brandt willen.«
»Ah, Durchlaucht, das müssen Sie mir erklären!«
»Gern! Vorher aber sagen Sie mir aufrichtig, ob Sie ihn noch immer für schuldig halten!«
»Noch immer?« fragte sie. »Wie wäre das eine Möglichkeit. Ich war vom Scheine geblendet und von der Grauenhaftigkeit der Thaten erdrückt. Ich war nicht im Stande, selbstständig zu denken. Sobald mir aber diese Fähigkeit wiederkehrte, erkannte ich, wie sehr, wie sehr gesündigt ich an Dem hatte, den ich so innig liebte.«
»Ah! Sie liebten ihn?«
»Ich war seine Schwester!«
»Ich begreife!«
»Und dennoch hat das Mißtrauen, welches ich gegen ihn zeigte und durch welches ich ihn in das Verderben trieb, seine düsteren Schlagschatten weit, weit hinein in mein einsames Leben geworfen. Noch heute martern mich die Vorwürfe.«
»Lassen Sie dem ein Ende werden! Er hat Ihnen vergeben!«
»Ich glaube es ihm, denn er hat mich vergessen können!«
»Vergessen? Niemals! Nie!«
Da warf sie das Köpfchen empor und sagte in liebenswürdiger Unvorsichtigkeit:
»Und doch, doch hat er mich vergessen, denn er hat eine Andere, eine Engländ- –«
Sie hielt inne. Sie hatte sich verrathen. Sie senkte die Augen und den Kopf. Es war, als ob alles
Weitere Kostenlose Bücher