Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
sind es ja, sondern Gustav ist es, der mich küßt.«
    »Ja, Gustav soll es sein. Ich will denken, ich sei er. Also den Mund, Baronesse, den Mund, den süßen, schönen, lieben Mund.«
    Er schlang den Arm um sie und zog sie weiter zu sich herab. Ihre Lippen fanden sich zu einem langen, langen Kusse. Sie hielt die Augen geschlossen, um sich der süßen Täuschung hinzugeben, daß es der Geliebte sei, den sie küsse. Er aber ließ den offenen Blick auf ihr ruhen, und es war ihm, als ob er seinen Mund nie, nie wieder von diesen Lippen lassen könne.
    Da glitt ihr der eine Fuß aus, sie sank fast in seine Arme und legte die Linke um seinen Nacken. Er schlang beide Arme um ihre Taille, zog sie innig, innig an sich und gab ihr Kuß um Kuß und Kuß auf Kuß. So lagen sie Brust an Brust in süßer, seliger Selbstvergessenheit, bis sie sich endlich ermannte und aus seinen Armen wand.
    »War der Kuß Gustav’s auch ein solcher?« fragte sie halb verschämt und halb vorwurfsvoll.
    »Es wäre ein solcher gewesen, wenn er direct an Sie hätte gerichtet sein können.«
    »So mag es vergeben sein. Wir sind ja Bruder und Schwester, Durchlaucht. Nun aber unser Bund geschlossen ist, lassen Sie uns zu den Einzelheiten unserer Aufgabe übergehen!«
    »Ich bin bereit. Haben Sie schon nachgesonnen, um einen Plan zu finden, welcher ein Resultat verspricht?«
    »Leider nein.«
    »Wollen wir die Unschuld unseres Freundes beweisen, so kann es uns nur dadurch gelingen, daß wir den wirklichen Thäter entdecken. Haben Sie eine Muthmaßung, wo er zu suchen sei?«
    »Ich möchte mit Ja antworten.«
    »Wen meinen Sie?«
    »Meinen Cousin.«
    »Franz von Helfenstein?«

»Ja.«
    »Haben Sie Anhaltepunkte?«
    »Nur dieselben, welche Gustav und sein Vertheidiger während der Verhandlungen gaben!«
    »Ich kenne sie. Sie hatten leider keinen Erfolg.«
    »So dürfen wir, wenn wir sie jetzt aufstellen, noch viel weniger auf Erfolg rechnen.«
    »Das ist sehr richtig. Aber wir finden vielleicht Anknüpfungspunkte, welche uns spätere Zeiten bieten. Meinen Sie vielleicht, daß Ihr Cousin bei beiden Mordthaten der Schuldige sei?«
    »Ich möchte es behaupten.«
    »Wenn es so in der Wahrheit ist, so hat er einen ungeheuren Scharfsinn zu entwickeln gehabt.«
    »Der Zufall ist ihm zu Hilfe gekommen!«
    »Mag sein. Aber trotzdem bin ich der festen Ueberzeugung, daß nicht Zufall und Scharfsinn allein Alles gethan haben können.«
    Sie wurde aufmerksam und fragte:
    »Wie meinen Sie das? Was könnte außer Zufall und Berechnung noch vorhanden gewesen sein.«
    »Mitschuldige.«
    Sie erschrak. Er hatte dieses eine, aber schwerwiegende Wort mit solchem Ernst, Mit solcher Ueberzeugung ausgesprochen, daß sie annehmen mußte, er besitze Gründe dafür.
    »Mitschuldige?« fragte sie. »Welche ihm geholfen haben, die Mordthaten auszuführen?«
    »Entweder dieses Eine –«
    »Oder? Was ist das Andere?«
    »Oder Mitschuldige, welche zufälliger Weise Zeugen des Mordes waren, sich aber durch irgendwelche Gründe bestimmen ließen, für Franz von Helfenstein und gegen Gustav zu zeugen.«
    »Gott! Daran habe ich noch nie gedacht!«
    »Und doch ist es sehr leicht, auf solche Gedanken zu kommen, wenn man die Verhältnisse betrachtet, welche sich seit jener Zeit ergeben und entwickelt haben.«
    »Welche Verhältnisse meinen Sie?«
    »Zum Beispiele die Verheiratung Ihres Cousins mit Ihrer früheren Zofe Ella.«
    »Diese Verbindung ist mir von jeher höchst merkwürdig gewesen. Ich habe sie mir allerdings zu erklären gesucht.«
    »Welche Erklärung fanden Sie.«
    »Ella war hübsch, raffinirt, schlau berechnend. Sie wollte hoch hinaus und hat den Cousin umgarnt.«
    »Ein schönes, raffinirtes, aber niedrig geborenes Mädchen vermag einen Edelmann nur dann zu umgarnen, wenn er eine grob sinnlich angelegte Natur ist. War Ihr Cousin eine solche?«
    »Ich möchte nicht Ja sagen. Er mag ein Roué gewesen sein, wie er es ja auch jetzt noch zu sein scheint, aber er war in eben dem Grade auch berechnend, habsüchtig, stolz und eingebildet.«
    »Ueberdies schien er Sie geliebt zu haben?«
    »Ich hatte die Ehre, ihn von seiner Liebe sprechen zu hören.«
    »Schön! Ella war unmöglich befähigt, Sie in seiner Liebe auszustechen. Es muß ein anderer, geheimerer Grund zur Verheirathung vorhanden gewesen sein.«
    »Vermögen Sie, ihn zu finden?«
    »Ich halte mich einstweilen an eine Hypothese.«
    »Bitte, darf ich sie erfahren?«
    »Sagen Sie erst, ob Sie sich entsinnen können, daß Ihr

Weitere Kostenlose Bücher